Wilderness.

Die Garden Route gehört zu den landschaftlichen Höhepunkten Südafrikas. Das kann man in jedem Reiseführer lesen, und deswegen wollen wir die Region an der Südküste in den folgenden Tagen nun näher kennen lernen. Dazu müssen wir an diesem Freitag erst einmal ordentlich Strecke machen, und das heißt von Swellendam aus, gut zweieinhalb Stunden auf der bestens ausgebauten N 2 ostwärts zu fahren, bis in Mossel Bay, einer fast 60.000 Einwohner zählenden Stadt an der gleichnamigen, langgezogenen Bucht, der westliche Startpunkt dieser Strecke erreicht ist.

Handelshaus Vintcent Gebou von 1901 im Herzen von Mossel Bay

Hier legen wir einen kleinen Boxenstopp ein – um uns die Füße zu vertreten, eine Kleinigkeit zu essen und schließlich auf dem Gelände des Bartolomeu-Dias-Museums den historischen Postbaum samt Denkmal zu bewundern. Damit hat es folgende Bewandtnis: Als der portugiesische Seefahrer Pêro de Ataide im Jahre 1500 den Rückweg von Indien in die Heimat antrat, hinterließ er in der Muschelbucht an einem Baum in einem Schuh eine Nachricht über die Schwierigkeiten der Reise, die der ihm nachfolgende João da Nova ein Jahr später fand und bei der weiteren Planung seiner Expedition nutzbringend verwenden konnte – eine Tradition war geboren, die zahlreiche spätere Seefahrer fortsetzten. Bartolomeu Dias, ein weiterer Portugiese, war allerdings bereits 1488 hier an Land gegangen – als erster Europäer überhaupt, der die afrikanische Südspitze umrundet hatte. Das Museum ist daher seinem Andenken gewidmet und zeigt auch einen Nachbau seiner Karavelle.

An der weiten Mossel Bay beginnt die beliebte Garden Route
Der über 500 Jahre alte Postbaum…
…und das dazu passende Denkmal davor

Um auch sie anzusehen, wird uns die Zeit allerdings etwas zu knapp; es ist angeraten, Überlandfahrten in Südafrika bei Tageslicht zu beenden, vor allem, wenn man die Strecke nicht kennt. Und wir haben zum einen noch gut 50 Kilometer bis nach Wilderness zurückzulegen; zum anderen lockt kurz vor unserem Tagesziel auch noch ein spektakulärer Aussichtspunkt direkt an der Schnellstraße, der Dolphin’s Point, von dem aus man einen weiten Blick auf den kilometerlangen Sandstrand des Ortes genießen kann.

Erster Blick vom Dolphin’s Point auf Wilderness
Klein und übersichtlich – der Ortskern von Wilderness

Kurz danach haben wir die Waterside Lodge erreicht: Ein kleines Gästehaus wenige hundert Meter vom Zentrum des kleinen Ortes entfernt, das auch über zwei kleine Hütten verfügt, von denen wir eine – die Loerie Cabin – für vier Nächte gebucht haben. Die Hütte ist gemütlich und für die kühlen Abende mit einem elektrischen Heizkörper versehen; das Frühstück im Haupthaus ist gegenüber den bisherigen Unterkünften hinsichtlich der Auswahl zwar etwas kärglicher, aber immer noch vollauf ausreichend.

Die Loerie Cabin, unser Zuhause in der Waterside Lodge, von außen…
…und von innen

Wunderschön ist die Lage der Unterkunft: Unsere Hütte befindet sich im oberen Bereich des Grundstücks am Hintereingang, der an einer ruhigen Wohnstraße liegt; vom Haupteingang muss man nur die Straße überqueren, schon läuft man an den Ufern des hier zu einer Lagune verbreiterten Touw Rivier entlang und ist nach wenigen Minuten am herrlichen Sandstrand.

Das Hauptgebäude der Waterside Lodge
…und die Lagune des Touw Rivier gleich gegenüber

Den kann man kilometerweit entlang laufen, unterwegs Muscheln sammeln und dabei die spektakuläre Meeresbrandung genießen – genau das tun wir am folgenden Tag und machen damit das, was wir uns für hier vorgenommen haben: einfach runterkommen.

Entspannende Wanderung am weiten Sandstrand…
…bis die Felsen ans Meer heranrücken

Allerdings hat auch die weitere Umgebung von Wilderness, dem erst Ende des 19. Jahrhunderts von einem Farmer gegründeten Dorf, einiges zu bieten – wir entscheiden uns am Sonntag für einen Ausflug in die im Norden gelegene Kleine Karoo, eine Halbwüste, die wir erreichen, indem wir zunächst zurück nach George fahren, die mit 150.000 Einwohnern größte Stadt an der Garden Route und von dort weiter über den 800 Meter hohen Outeniqua-Pass, hinter dem die Landschaft schlagartig erheblich karger wird, weil in der Hochebene zwischen den Outeniqua-Bergen und den weiter nördlich gelegenen, noch deutlich höheren Swartbergen wesentlich weniger Regen fällt als an der Küste.

Halbwüste: die Kleine Karoo bei Oudtshoorn

Zentrum dieser Region ist Oudtshoorn. Die 60.000-Einwohner-Stadt wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und stieg schnell zum Zentrum der Straußenzucht auf – in Europa und Nordamerika kamen ab 1860 Straußenfedern als Hutschmuck der feinen Damen in Mode, die Züchter wurden dadurch reich und errichteten sich als Straußenbarone die sogenannten Federpaläste, die heute noch das Stadtbild mitbestimmen. Beim Bau galt der Grundsatz: Je höher der obligatorische Turm, um so wohlhabender der Besitzer.

Typisch für Oudtshoorn:
Die Federpaläste
…der Straußenbarone

Ansonsten ist Oudtshoorn heute eine Provinzstadt wie viele, deren Grundriss schachbrettartig angelegt ist und die außer dem von Läden gesäumten Zentrum gepflegte Langeweile verströmt. Was uns jedoch auffällt: Der Rasen in den Vorgärten sieht sehr braun aus, obwohl gerade Winter ist, in dem normalerweise der meiste Regen fällt. Nach mehreren Jahren der Dürre ist das heuer in den Küstenregionen, in denen wir bisher unterwegs waren, zum Glück für Mensch und Natur auch der Fall – doch hier in der Kleinen Karoo wartet man vergeblich auf das dringend benötigte Nass von oben, wie uns auch die Inhaber eines auf afrikanische Kunst spezialisierten Geschäfts, ein österreichisches Paar aus Graz und Salzburg, erzählen.

Oudtshoorns Hauptgeschäftsstraße, die Baron Van Reede Street…
…und ihr auffälligstes Bauwerk, das C. P. Nel Museum

Einige Kilometer außerhalb der Stadt besuchen wir die Safari Ostrich Farm, einen Straußenzuchtbetrieb, der geführte Touren über das Gelände anbietet. Dabei erfahren wir viel Neues über die größte Vogelart der Erde: zum Beispiel, dass es mehrere Unterarten gibt – drei davon werden hier gehalten. Der größte von ihnen ist der blaue Simbabwe-Strauß, der kleinste der schwarze südafrikanische Strauß, während der rote kenianische Strauß eine Mittelstellung einnimmt. Die Farben beziehen sich dabei nicht auf das Gefieder, sondern auf den Schimmer der Beine. Auch einige australische Emus werden hier gezüchtet. Wir dürfen Strauße füttern (mit einem Löffel oder sogar aus der Hand), uns auf Straußeneier stellen (die sind so stabil, dass sie das spielend aushalten) und erfahren, dass Federn heute nur noch ein Nebengeschäft sind – für die Farm am bedeutendsten ist der Verkauf von Lederwaren, gefolgt vom Straußenfleisch. Dieses wird hauptsächlich nach Europa exportiert.

Auf dem Anhänger eines Traktors werden wir über die Straußenfarm kutschiert
Einige Eindrücke von der Straußenfarm…
Jana testet die Stabilität von Straußeneiern…
…und darf das Federvieh auch füttern
Schautafel zu den verschiedenen Straußenrassen

Das können wir im angeschlossenen Restaurant gleich probieren – allerdings in Form eines Bobotie, eines aus der malaiischen Küche stammenden Hackfleischgerichts mit Curry, bei dem wir den spezifischen Geschmack von Straußenfleisch nicht wirklich herausschmecken. Allerdings gilt das magere Fleisch dank seines geringen Eiweiß- und Cholesteringehalts als sehr gesund.

Kapmalaiische Spezialität: Bobotie – hier mit Straußenfleisch

Wir fahren nun weiter nach Norden – die Passage über den Swartberg-Pass, der bis auf 1.583 Meter hinaufführt, nach Prince Albert wird als landschaftlich besonders sehenswert beschrieben. Allerdings ist er auf 22 Kilometern nicht asphaltiert – und mit unserem doch eher kleinen Suzuki Dzire geht es auf der mit Schlaglöchern und Felskuppen gespickten Piste dermaßen langsam und rüttelig voran, dass wir nach vier Kilometern den geordneten Rückzug beschließen. Ich hatte in früheren Jahren mit Mietwägen schon das ein oder andere Malheur, zum Teil auch aufgrund eigener Unvorsichtigkeit. Aus Schaden wird man klug; wir wollen hier keinen Achsenbruch provozieren…

Tolle Landschaft…
…aber schlechte Straßen…
…am Swartberg Pass

Also planen wir spontan um – was uns dadurch leicht gemacht wird, dass vom Rückweg Richtung Oudtshoorn eine kurze Abzweigung zu einem sehr attraktiven Ziel führt: den Cango Caves, einem ausgedehnten Tropfsteinhöhlengebiet, dessen Abschnitt 1 im Rahmen einer einstündigen Führung erkundet werden kann. In dieser unterirdischen Wunderwelt gibt es zahlreiche bizarre Formationen zu bestaunen, und die Temperaturen sind im Vergleich zu ähnlichen Höhlen in Europa angenehm – es hat um die 18 Grad.

Eingang zu den Cango Caves
…einer Wunderwelt in der Unterwelt

Auf der Rückfahrt durch die goldene Abendsonne gibt Jana auf dem Beifahrersitz urplötzlich einen ordentlichen Fluch von sich – was ist passiert? Sie hat die Handtasche durchforstet und festgestellt… nein, nichts ist gestohlen worden, vielmehr haben wir etwas Wichtiges in der Unterkunft gelassen, nämlich all unsere Papiere! Wir haben weder Pässe noch Führerscheine noch die Dokumente des Autovermieters dabei! Was, wenn es jetzt eine Polizeikontrolle gibt? Wir haben schließlich noch über 60 Kilometer vor uns! Da hilft nur Beten… aber das offenbar mit Erfolg, denn wir kommen glücklich in Wilderness an, obwohl zwischendurch auch noch Nacht, Nebel und Regen über uns hereingebrochen sind.

Den Montag, unseren dritten Tag in Wilderness, bleiben wir dann wieder vor Ort. Denn hier gibt es noch einiges zu erkunden – zum Beispiel eine Wanderung auf dem im Garden-Route-Nationalpark liegenden Half Collard Kingfisher Trail, der als sehr schön beschrieben wird und zu einem Wasserfall führt. Doch den zu finden, ist gar nicht so leicht: Die aufs Handy geladene Offline-Karte von Südafrika des Anbieters maps.me, die uns bislang problemlos überall hin geführt hat, findet den Einstieg zu dieser Wanderung nicht – was aber gar nicht so schlimm ist, weil wir dadurch von einer Anhöhe auf dem Weg in den Ortsteil Hoekwil tolle Panoramen über Wilderness und den vorgelagerten Island Lake erhalten.

Auf der Passstraße nach Hoekwil: Weiter Blick auf den mäandernden Touw Rivier
…und auf den Island Lake

Um zum Startpunkt des Trails zu gelangen, lassen wir uns dann eben in der örtlichen Tourist-Info Auskunft geben. Und stellen fest, dass es wirklich wert war, hartnäckig zu bleiben – der Wanderpfad führt durch eine Bilderbuchlandschaft, meist in lichtem Wald, den Touw Rivier aufwärts. Ein besonderer Spaß ist es unterwegs, sich auf einem Pontonfloß an einem Seil ans andere Flussufer zu ziehen, um dort die Wanderung fortsetzen zu können. Am hinteren Ende des Trails wartet schließlich nach eineinhalb Stunden ein pittoresker Wasserfall, wo wir gemütlich picknicken, ehe es zurück geht.

Hier beginnt der Half Collard Kingfisher Trail entlang des Touw Rivier
…unterwegs wartet ein Pontonfloß mit Selbstbedienung…
…üppiges Grün…
…die unter dem Holzbohlenweg verlaufende Wasserversorgung für die Stadt George…
…und am Ende ein schöner Wasserfall im Felsenbett

Eine letzte kurze Exkursion führt schließlich etwas nordwestlich des Ortes noch einmal über eine Passstraße hoch hinauf, um von einem Aussichtspunkt einen wunderschönen Blick auf eine Flussschleife des Kaaimans Rivier zu blicken – die umflossene Landzunge hat mit ein bisschen Fantasie durchaus Ähnlichkeit mit den Umrissen des Kontinents Afrika, was dem Ort den sprechenden Namen Map of Africa gegeben hat.

Die Flussschleife des Kaaimans Rivier erinnert an die Umrisse von Afrika
Von hier oben gibt’s nochmal ein tolles Panorama von Lagunen, Ort und Strand