Bloemfontein.
Hochnebel und leichter Nieselregen hängen über dem Land, als wir Addo am Samstag verlassen. Noch länger als bei der Ankunft vor zwei Tagen sind wir diesmal zwischen ausgedehnten Zitrusplantagen unterwegs. Anschließend setzen wir unsere Fahrt landeinwärts durch Buschland fort, bis sich hinter einer langgezogenen Bergkette Landschaft und Wetter schlagartig grundlegend ändern – die Vegetation wird spärlicher, die Regenwolken am Himmel verschwinden und machen der Sonne Platz. Wir sind in der Großen Karoo, einer Halbwüste, die sich vom Eastern Cape bis zum Northern Cape durch weite Teile des südafrikanischen Landesinneren zieht und etwa ein Drittel der gesamten Landesfläche einnimmt.





Nach etwa dreieinhalbstündiger Fahrt haben wir Graaff-Reinet erreicht, eine gut 26.000 Einwohner zählende kapholländische Gründung von 1786, womit der Stadt der Rang der viertältesten Siedlung des gesamten Landes zukommt. Die historische Substanz ist in Graaff-Reinet, das seinen Namen dem damaligen niederländischen Gouverneur Cornelis van de Graeff und seiner Frau Hester Reinet verdankt, außergewöhnlich gut erhalten: Über 200 Baudenkmäler werden in der kleinen Stadt gezählt, was sie zu einer der sehenswertesten von Südafrika macht.


Wir übernachten direkt in einer der Hauptsehenswürdigkeiten von Graaff-Reinet: Der ehemalige Sitz der regionalen Verwaltung, die Drostdy, ist heute ein Fünf-Sterne-Hotel und bietet uns dank unseres Besuchs außerhalb der südafrikanischen Hauptreisezeit die Gelegenheit, für eine Nacht kostengünstig einen gewissen Luxus zu genießen. Das Hotelgelände umfasst ein weitläufiges Areal, dem der gesamte Stretch’s Court angehört, eine kopfsteingepflasterte Gasse, die von aufwändig restaurierten, nun als Hotelunterkünften dienenden Wohnhäuschen für freigelassene Sklaven gesäumt wird. Wir kommen im Ferreira House, einem ehemals herrschaftlichen Gebäude, unter und dürfen dort neben unserem eigentlichen Zimmer auch noch ein sehr stilvolles Wohnzimmer benutzen.





Doch allzu lange halten wir uns gar nicht in diesen tollen Räumlichkeiten auf: Die Stadt hat ja einiges zu bieten, wie zum Beispiel die der Kathedrale von Salisbury nachempfundene Niederländisch-Reformierte Kirche oder das Reinet House – das ehemalige Pfarrhaus beherbergt heute ein Museum.




Außerdem lohnt eine Fahrt in den nahe gelegenen Camdeboo-Nationalpark. Der Weg dorthin führt allerdings an einem Ort vorbei, der einen mehr als traurigen Eindruck hinterlässt: der Nqweba Dam, ein Stausee des Sundays River, ist fast komplett ausgetrocknet; unzählige verendete Fische liegen an seinem Grund. Während in anderen südafrikanischen Regionen heuer der Winterregen nach Jahren der Trockenheit endlich wieder das dringend benötigte Wasser gebracht hat, ist er hier so gut wie ganz ausgeblieben. Kein Wunder, dass der Hotelangestellte uns bei unserer Ankunft erstaunt angesehen hat, als wir erzählt haben, dass wir heute morgen in Addo bei Regen aufgebrochen sind.


Der Besuch des Nationalparks ist kurz vor Sonnenuntergang besonders schön: Im Abendlicht lässt sich nicht nur der Blick vom Toposcope View Point auf die tief unten liegende Stadt und den nahen, eindrucksvoll rund geformten Spandaukop genießen, wenige hundert Meter entfernt eröffnet ein weiterer Aussichtspunkt ein grandioses Panorama der golden schimmernden, schroff erodierten Steinsäulen, die das Valley of Desolation umrahmen.





Am Sonntagmorgen lassen wir uns Zeit. Wir erfreuen uns an unserer schönen Unterkunft, nehmen im angeschlossenen Camdeboo Restaurant ein hervorragendes Frühstück ein und machen uns anschließend auf zu unserer bis dahin längsten Etappe. Über die N 9 und die N 1, die uns vom Eastern Cape ein Stück weit durchs Northern Cape und über den Oranje River in die Provinz Free State weiterführen, erreichen wir nach fast fünf Stunden durch die Karoo und später durch weites, winterlich trockenes Weideland die gut 250.000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt Bloemfontein. Hier kommen wir für eine Nacht im Abiento Guesthouse unter. Es liegt ein wenig außerhalb des Zentrums in einer ruhigen Seitenstraße und überrascht uns mit einem Upgrade: Wir erhalten eine sehr geräumige Suite mit angeschlossener Terrasse, auf der wir nach der langen Fahrt erst einmal in Ruhe einen Kaffee genießen.


Der Stadtbummel fällt in Bloemfontein recht kurz aus: Nicht, dass die historische Buren-Hauptstadt gar nichts zu bieten hätte – aber so viele herausragende Sehenswürdigkeiten sind es dann doch nicht, und zudem bleibt uns bis zum Sonnenuntergang nicht gar so viel Zeit. So beschränken wir uns auf eine kleine Runde, bei der wir aber immerhin an der 1935 in italienischem Stil errichteten City Hall, am Supreme Court of Appeal, dem Obersten Berufungsgericht Südafrikas, und am Fourth Raadsaal vorbei kommen. Dieses 1890 – 1893 errichtete Gebäude war in der Zeit des alten Oranje-Freistaats vor den Burenkriegen Anfang des 20. Jahrhunderts der Sitz des Volksraads.




Für uns kurios: Auch eine Statue von Fidel Castro finden wir in Bloemfontein. Der vor drei Jahren verstorbene kubanische Revolutionsführer gilt in Südafrika als großer Unterstützer des Kampfes der Schwarzen um Gleichberechtigung und erfährt daher entsprechende Verehrung.

Offene Restaurants sind am Sonntagabend überall in Südafrika Mangelware. In unserer Unterkunft hat man uns daher empfohlen, uns im Food Court der Loch Logan Waterfront, eines großen Einkaufszentrums am gleichnamigen kleinen See, umzusehen. Wir tun das, finden dort ein sehr angenehmes und empfehlenswertes Restaurant in portugiesisch-brasilianisch-mosambikanischem Stil und erleben dort einen wunderbaren Sonnenuntergang.


Und weil direkt neben der Waterfront das Free-State-Stadion liegt, sehen wir zumindest von außen auch eine der Austragungsstätten der Fußball-WM von 2010. Hunderte von Bällen aus Beton, die die Straße aus der Stadt in Richtung Stadion säumen, wiesen damals den Fans der teilnehmenden Mannschaften den Weg – sie sind auch heute noch gut erkennbar mit den Flaggen der Länder, die hier in der Vorrunde Spiele austrugen, bemalt. Zwei Nationalflaggen fehlen allerdings: die englische und die deutsche – diese beiden Teams trafen in Bloemfontein im Achtelfinale aufeinander. Jogis Jungs gewannen furios mit 4:1, hatten allerdings beim umgekehrten Wembley-Tor (Frank Lampard hämmerte einen Schuss an die Unterkante der Latte, der Ball sprang hinter die Torlinie, der Treffer fand jedoch keine Anerkennung durch das Schiedsrichtergespann) auch eine Menge Glück. Heute nutzen neben einem Fußballteam auch zwei Rugbyclubs die Arena als Heimspielstätte.


