Hoedspruit.
Mit dem Verlassen des Golden Gate Highlands National Park entfernen wir uns erst einmal von den ausgetretenen Pfaden des Tourismus, denn die über 400 Kilometer lange Etappe, die uns an diesem Mittwoch nordostwärts führt, bringt uns durchs ganz normale südafrikanische Hinterland mit weiten, dünn besiedelten Abschnitten, einigen Siedlungsgebieten, die zu Apartheid-Zeiten sogenannte Homelands waren, und ein paar Provinzstädten, die zwar noch die Namen der weißen Gründer tragen, wie z. B. Dundee oder Vryheid, mittlerweile aber fast vollständig von Schwarzen bewohnt werden. Auch hier, wie bisher überall, sind die Straßen gut ausgebaut und meist nur mäßig befahren, sodass wir problemlos vorankommen.

Überrascht sind wir davon, dass im Laufe der Fahrt die Bewaldung immer stärker wird: Es handelt sich aber keineswegs um natürliche Wälder, sondern vielmehr um in großem Stil durchgeführte Aufforstungen vor allem mit Nadelholz, das in dieser Region mittlerweile ein wichtiger Rohstoff und Wirtschaftsfaktor geworden ist. Eine Region, die übrigens im 19. Jahrhundert auch stark von deutschen Auswanderern geprägt wurde: Jedenfalls fühlen wir uns in dem Städtchen Paulpietersburg, sieht man von den Straßenszenen ab, plötzlich fast wie in Niedersachsen, als wir an einer Kreuzung Hinweisschilder nach Lüneburg und Braunschweig entdecken.

Von hier ist es nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel, der gut 50.000 Einwohner zählenden Stadt Piet Retief, nach einem burischen Voortrekker benannt. Sie liegt bereits in der Provinz Mpumalanga, in der die Umbenennung von Ortsnamen landesweit wohl am konsequentesten durchgeführt worden ist – Piet Retief heißt offiziell inzwischen Mkhondo; doch mit Ausnahme der Straßenschilder scheint die neue Bezeichnung im Alltag noch nicht sehr häufig verwendet zu werden.

Die Stadt selbst ist für Reisende nicht wirklich interessant. Der 1882 gegründete Ort weist ein paar verstreute Gebäude aus der kolonialen Gründungszeit auf (besonders schön ist die niederländisch-reformierte Kirche), verfügt ansonsten über eine geschäftige Hauptstraße und eine erstaunliche Anzahl von Beherbergungsbetrieben. Wir kommen im ruhig in einer Seitenstraße gelegenen Vredenhoff Guesthouse unter, wo uns die freundliche Besitzerin erklärt, dies hänge damit zusammen, dass Piet Retief verkehrstechnisch recht zentral zwischen der Küstenregion um Durban am Indischen Ozean und dem Kruger-Nationalpark liegt.



Unsere Reiseroute verläuft hingegen in eine andere Richtung: Wir kommen aus den Drakensbergen und wollen am nächsten Morgen weiter nach Swasiland. Es ist einfach zu interessant, auch noch ein paar Eindrücke aus dem zweitkleinsten Land Afrikas mitzunehmen, als dass wir uns diese Gelegenheit entgehen lassen wollen! Die Grenze zu dem inzwischen offiziell in eSwatini umbenannten Königreich zwischen Südafrika und Mosambik befindet sich keine 20 Kilometer östlich von Piet Retief, auch dafür ist die Stadt also ein guter Ausgangspunkt. Allerdings wird der Weg dorthin staubig: Die Route bis zum Grenzposten Emahlatini ist ganz offensichtlich keine, die vom südafrikanischen Verkehrsministerium als wichtig angesehen wird. Also müssen wir eine tiefrote Sandpiste durch Wald und Wiese hinter uns bringen, ehe der Schlagbaum uns stoppt.


Grenzübertritte in anderen Weltgegenden haben ja immer etwas Besonderes, Aufregendes an sich. Wie wird es wohl hier sein, an diesem entlegenen Kontrollpunkt in Afrika? Erst einmal müssen wir zur südafrikanischen Passkontrolle, bekommen unseren Ausreisestempel. Zurück am Auto, muss der Pass dem Grenzer am Schlagbaum noch einmal gezeigt werden. Und was macht der? Er beginnt ein kleines Schwätzchen mit uns, fragt uns, wo wir schon überall waren in Südafrika, wie es uns in seinem Land gefallen hat, ob wir irgendwo Probleme hatten und wünscht uns dann eine gute Weiterreise. Wenn wir ihn am Schluss nicht danach gefragt hätten, ob er die Papiere unseres Autoverleihers sehen möchte, die dokumentieren, dass wir damit nach Swasiland fahren dürfen, hätte er das glatt vergessen. „Oh, stimmt! Da muss ich ja eine Kopie davon machen. Könnte ich bitte Ihre Führerscheine auch noch kurz haben?“ Sagt’s, verschwindet kurz in seinem Büro, überreicht uns gleich darauf die Dokumente wieder und macht die Grenze auf. Drüben, am swasiländischen Posten Sicunusa, funktioniert alles ähnlich unkompliziert. Man fragt uns nach dem Ziel unserer Fahrt und erkundigt sich, ob wir den Weg dorthin wissen, zudem erhalten wir vom Grenzbeamten eine Hochglanzbroschüre des nationalen Fremdenverkehrsamts. Lediglich der Herr von der Finanzbehörde fordert mit unbewegter Miene seine 50 Rand Straßenbenutzungsgebühr ein.
Rand? – Eigentlich hat Swasiland ja seine eigene Währung. Der Lilangeni (Plural: Emalangeni) ist jedoch im Verhältnis 1:1 an das Zahlungsmittel des großen Nachbarn gekoppelt, und südafrikanische Scheine werden anstandslos akzeptiert. Ein Geldumtausch ist also überflüssig. Auch ansonsten ändert sich nicht viel: Die Autos fahren auch in dieser ehemaligen britischen Kolonie auf der linken Seite, die Straßenschilder sehen gleich aus, die Hauptstraßen sind gut ausgebaut (mit chinesischer Unterstützung, wie wir später erfahren). Nur auf älteren Streckenabschnitten gibt es dann doch deutlich mehr Potholes, also Schlaglöcher, als drüben in Südafrika. Aufmerksamkeit ist also geboten.

Unterwegs haben wir von Swasiland gar keinen so schlechten Eindruck. Die Häuser in den kleinen Orten, die wir passieren, sind zwar einfach, sehen aber ordentlicher aus als in vielen Townships; oft bemerken wir kleine Gemüsegärten, der Müll am Straßenrand hält sich in Grenzen, die Kinder winken uns Weißen freundlich zu. Nach etwa einstündiger Fahrt durch die hügelige Landschaft sind wir in der Streusiedlung Malkerns angekommen, wo wir einen der touristischen Hauptanziehungspunkte des Landes ansteuern – den Sitz von Swazi Candles, einer über die Grenzen des Landes hinaus bekannt gewordenen Kerzenmanufaktur. Warum, das wird bei einem Besuch der Werkstätte und des Ladens schnell deutlich: Die hier hergestellte Ware ist alles andere als Massenproduktion. Lauter handwerklich gefertigte kleine Kunstwerke, oft in Tierfelloptik, warten hier auf die Käufer aus aller Welt, die bei dem vielfältigen Angebot vor der Qual der Wahl stehen.




Natürlich haben Kunsthandwerker und Händler anderer Sparten diesen Ort ebenfalls für sich entdeckt, sodass inzwischen ein richtiger Markt entstanden ist, auf dem auch Schnitz- und Steinmetzarbeiten, edle Spirituosen und herzhafte Gewürzmischungen feilgeboten werden.

Wir fahren ein paar Kilometer weiter und sind schnell in Lobamba angekommen – ein kleiner Ort nur zwischen den beiden größten Städten des Landes, der Hauptstadt Mbabane und Manzini, und doch von herausragender Bedeutung für ganz Swasiland. Mit der königlichen Residenz und dem Parlament befinden sich hier zwei wichtige staatliche Institutionen; zudem auch das National Museum, in dem wir uns einen guten Eindruck von Geschichte und Kultur des Swasi-Volkes verschaffen können.






Besonders aufschlussreich für das Verständnis des swasiländischen Staatswesens ist der anschließende Besuch des in unmittelbarer Nähe gelegenen King Sobhuza II Memorial Park. Die absolute Monarchie als Regierungsform ist in westlichen Ländern nur noch ein längst beendetes Kapitel in den Geschichtsbüchern; hier dagegen begegnet sie uns höchst vital und zeigt uns ihre ganze Pracht. Der 1899 geborene, bereits im Alter von vier Monaten zum Regenten über sein damals unter britischer Kolonialherrschaft stehendes Volk ernannte Herrscher führte sein kleines Land 1968 in die Unabhängigkeit und regierte es unter zeitweiliger Abschaffung des Parlaments und Verbots aller Parteien bis zu seinem Tod im Jahr 1982. König Sobhuza II. gilt damit weltweit als Herrscher mit der längsten jemals erreichten Amtszeit. Ihm zu Ehren wurde in dem weitläufigen Park nicht nur ein überlebensgroßes Denkmal aufgestellt, das von einem sechseckigen Pavillon überdacht wird; hier befindet sich auch ein in Stahl und Spiegelglas gehaltenes Mausoleum mit Ehrenwache, das offiziell nicht einmal fotografiert werden darf.




Im ebenfalls zum Parkgelände gehörenden Sobhuza-Museum werden dem Besucher die Lebensstationen des Königs detailliert an zahlreichen Schautafeln dargeboten. Als Grundaussage, die mit Ausstellungsstücken wie den Staatskarossen des Monarchen illustriert wird, zieht sich dabei die Erzählung vom weisen und fürsorglichen Landesvater, der mit vorausschauendem Handeln und sicherer Hand sein Volk aus der kolonialen Knechtschaft in ein international respektiertes unabhängiges Staatswesen geführt hat, durch die gesamte Ausstellung. Keine Frage: Sie dient nicht nur dazu, die Erinnerung an den Nationalhelden wachzuhalten und zu glorifizieren, sondern in mindestens ebensolchem Maße auch der Rechtfertigung des Systems – und das wird seit 1986 durch König Mswati III. personifiziert, der dieses Amt als Achtzehnjähriger von seinem verstorbenen Vater übernahm, nachdem in der Übergangsphase vier Jahre lang Regentinnen über das Land herrschten: zunächst Dzeliwe, anschließend drei Jahre lang Mswatis Mutter Ntombi, die noch heute als Königinmutter mit dem Ehrentitel Große Elefantin in repräsentativer Hinsicht eine herausgehobene Position im Staat bekleidet.


Warum dieser Regentinnenwechsel? Ursache dafür ist der polygame Lebensstil der Swasi-Herrscher. Beide waren Königswitwen, deren Ziel es war, ihren eigenen Sohn auf den Thron zu hieven. Von Sobhuza heißt es, dass er mit 70 Frauen verheiratet war und insgesamt 210 Kinder zeugte. Mswati III. „begnügt“ sich dagegen mit derzeit 14 Frauen, von denen er etwa 30 Kinder hat. Allein die Art und Weise der Gattinnenwahl wirft ein bezeichnendes Licht auf die Machtverhältnisse im Land. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Anfang September stattfindende, im National Museum ausführlich beschriebene Umhlanga, das Schilftanzfest, an dem jedes Jahr etwa 20.000 ledige, kinderlose junge Frauen aus dem ganzen Land teilnehmen. Höhepunkt des einwöchigen Fests, an dem die Mädchen Schilf schneiden und es dem König und der Königinmutter überreichen, ist der Tanz am letzten Tag, den die Frauen barbusig aufführen. Dabei wählt der König gelegentlich ein Mädchen aus, das er per Dekret zur Heirat mit ihm verpflichtet. Doch nicht nur diese persönlichen Extravaganzen stehen bei kritischen Geistern in und außerhalb Swasilands unter Beschuss, sondern auch das Luxusleben des Herrschers, der sich und seinen Frauen zahlreiche Paläste bauen ließ und Edelkarossen der Marken Mercedes-Benz und Maybach fährt, während viele Menschen im Land in Armut leben und die Aids-Rate die höchste der Welt ist.

Den Tourismus jedenfalls will der König fördern, heißt es; wir sind also sehr willkommen in der letzten absoluten Monarchie Afrikas, wo wir im Mlilwane Wildlife Sanctuary, dem 1960 gegründeten ältesten Naturschutzgebiet Swasilands auf dem Gebiet der Gemeinde Malkerns, für zwei Nächte eine Bienenkorb-Hütte im Mlilwane Rest Camp, der Parkzentrale, gebucht haben. Die Hütte, eine von etwa 12, die ein eigenes ovales Hüttendorf bilden (es gibt auch größere und luxuriösere Unterkünfte), ist traditionell aus Stroh, allerdings den touristischen Bedürfnissen entsprechend höher gebaut, mit Beton- statt mit gestampftem Rinderdung-Boden und mit einem angeschlossenen Badezimmer versehen.







Hier lassen wir es gemütlich angehen. Da es in dem Nationalpark keine für Menschen bedrohlichen Arten gibt, können die Tiere selbst mitten im Camp frei umherlaufen, was uns gleich bei der Ankunft unmittelbare Begegnungen mit Kudus und Impalas ermöglicht. Tagsüber tollen Grüne Meerkatzen über das Gelände, balgen umher, liefern sich Verfolgungsjagden und versuchen die Mülltonnen zu öffnen, um an Essbares zu gelangen. Am Tümpel direkt neben dem Restaurant tummeln sich Schlangenhalsvögel, Ibisse und Wasserschildkröten. Wenn es dunkel wird, kommen allabendlich Warzenschweine ans Lagerfeuer und machen es sich dort gemütlich.










Und wo kann man schon in einem Nationalpark Mountainbikes ausleihen und mit ihnen durch die Wildnis fahren? Hier ist auch das problemlos möglich, wenngleich wir dann schon Respekt haben, als plötzlich am Wegesrand eine grasende Gnuherde auftaucht. Wenn die in Panik gerät und auf uns losrennt… aber offensichtlich lassen sich die Tiere durch radelnde Menschen nicht allzusehr irritieren. Sie mustern uns nur kurz und fressen dann ungerührt weiter. Der Fahrradverleih wird über die Rezeption des Mlilwane Rest Camp abgewickelt, mit umgerechnet acht Euro für eine Stunde bewegen sich die Tarife durchaus auf europäischem Niveau. Was für den Zustand der Fahrräder leider nicht unbedingt gilt: Da muss man den Bestand schon ordentlich durchforsten, um zwei einigermaßen passable Drahtesel zu finden – die vollmundige Behauptung auf der Website, die Räder seien in gutem Zustand, können wir nicht wirklich bestätigen. Leider eine Konstellation, die uns hier in ähnlicher Weise noch einmal begegnet: WLAN ist im Gegensatz zu den meisten Unterkünften nicht kostenfrei; um ein Passwort für 200 MB zu erhalten, sind etwa drei Euro zu zahlen. Das ist hier draußen im Busch ja grundsätzlich akzeptabel; wenn dann aber minutenlang darauf gewartet werden muss, bis man eine E-Mail abrufen kann, stimmt beim Preis-Leistungs-Verhältnis irgendetwas nicht…








Schön ist es, dass wir am zweiten Abend vor dem Essen in den Genuss einer etwa 45-minütigen Tanzdarbietung kommen, die von einer Folkloregruppe aus der Umgebung im Schein des Lagerfeuers aufgeführt wird. Abwechselnd treten dabei Frauen- und Männergruppen auf – die Frauen in einer Tracht, deren auffälligstes Merkmal das großformatige Porträt von König Mswati III. ist.



Ehe wir Swasiland am Samstag wieder verlassen, steht noch ein kurzer Besuch in der Hauptstadt Mbabane auf dem Programm. Rasen ist auf dem Weg dorthin nicht angesagt, denn häufige Bodenwellen sorgen sehr effektiv dafür, dass alle Verkehrsteilnehmer ihre Geschwindigkeit erheblich drosseln. Die gut 90.000 Einwohner zählende, auf 1.243 Metern Meereshöhe klimatisch sehr angenehme und inmitten von Bergen gelegene Stadt macht auf uns einen überraschend sauberen und gepflegten Eindruck, wenngleich es hier keine bedeutenden Sehenswürdigkeiten zu bewundern gibt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Ort erst 1902 von den Briten gegründet wurde, die diesen Standort gegenüber dem heißeren Manzini als Verwaltungssitz bevorzugten. Das architektonisch vielleicht auffälligste, dem Muster eines Zebras nachempfundene Gebäude ist das Hilton Garden Inn, das sich etwas außerhalb des Zentrums weithin sichtbar an einen Berghang schmiegt. Eine überlebensgroße Skulptur in einem Kreisverkehr – wir vermuten stark, dass sie den König darstellt – ist noch verhüllt; in der Hauptachse der Innenstadt, der Gwamile Street, treffen wir auf eine breite Palette an Geschäften mit einem großen Warenangebot, das den Vergleich mit Südafrika nicht scheuen muss.






Von Mbabane ist es nicht mehr weit bis zur Grenze. Nach weniger als einer halben Stunde haben wir zunächst den swasiländischen Grenzposten Ngwenya und gleich dahinter das südafrikanische Pendant Oshoek erreicht. Durch eine zunächst recht gebirgige, relativ dünn besiedelte Region fahren wir stundenlang nordwärts; hinter der Provinzhauptstadt Nelspruit, in der wir eine Mittagspause einlegen, dann parallel zu den Grenzen des Kruger-Nationalparks durch eine überraschend dicht besiedelte, mit zahlreichen Bananenplantagen gespickte Landschaft, bis wir am späten Nachmittag im bereits in Südafrikas nördlichster Provinz Limpopo gelegenen Hoedspruit eintreffen, unserer Station für die nächsten zwei Nächte.

Hallo ihr Beiden! Wieder sehr schöne Bilder in Eurem Blog. Die Bienenkorb Hütten finde ich innen überraschend komfortabel, schön! LG Claudia
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Hallo Stefan!
Freut mich sehr, dass du auf unseren Blog gestoßen bist, auch wenn er momentan nicht sehr aktuell ist… von heuer möchte ich zumindest noch unsere Sommer-Radtour reinstellen, bin aber momentan etwas hintendran.
Ich hoffe, dir geht’s auch gut!
Viele Grüße aus Tapfheim
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