Mainz.

Noch einmal werden die Räder bepackt, wir machen uns auf zur letzten Etappe auf dem Main-Radweg. Zuerst ist allerdings ein kleiner Boxenstopp an einer Tankstelle notwendig – nach Christians gestriger Reifenpanne ist der Schlauch zwar gewechselt, aber er braucht noch mehr Luft, und weil Christian eben Autoreifenventile besitzt, geht das nur an einer Tanke – in der Frankfurter Innenstadt gibt’s nicht einmal die Luft umsonst…

Zwischen ausgedehnten Gewerbe- und Industriegebieten, flankiert vom Main und von vielbefahrenen Straßen, geht es in den Frankfurter Westen, wo uns eine nicht ganz klar ausgeschilderte Umleitung für einige Kilometer ans rechte, nördliche Mainufer dirigiert und dabei direkt am alten Fabrikgelände von Hoechst entlangführt, ehe wir die Altstadt von Höchst erreichen, einem sehr ansehnlichen Fachwerkstädtchen, das seine Eigenständigkeit schon lange an Frankfurt verloren hat.

Stadtmauer von Höchst mit der auf das 9. Jahrhundert zurückgehenden Justinuskirche
Höchster Schlossplatz mit dem Zollturm aus der Mitte des 14. Jahrhunderts
Das Höchster Schloss ist ein Renaissancebau der Mainzer Fürstbischöfe
Der Höchster Schlossplatz hat seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt

Wir schauen uns ein bisschen auf dem schön gestalteten Schlossgelände um und setzen die Tour dann fort – bald wiedeer ein Stück am südlichen Flussufer entlang eines neuen Industrieparks, der von Konzernriesen wie Clariant oder Sanofi in Beschlag genommen ist, später erneut an der Nordseite des Mains. Nur kurz sind mal Felder, Wiesen und in der Nähe von Okriftel sogar ein bisschen Wald unsere Begleiter; in der dicht besiedelten Rhein-Main-Region radeln wir in schon gegen Mittag brütender Hitze häufig durch Orte oder an deren Rändern entlang, ehe in Richtung Hochheim an sanft ansteigenden Hängen wieder einmal Weinberge in Sicht kommen – wir haben den Rheingau erreicht.

Im Okrifteler Wäldchen plätschert der Schwarzbach in Richtung Main

Obwohl damit ein einigermaßen schweißtreibender Anstieg verbunden ist, setzen wir hier noch einmal den Blinker, verlassen die Mainebene und fahren hinauf in die oberhalb der Weinhänge thronende Altstadt von Hochheim, dessen Name sich damit für uns schon allein durch die geographische Lage erschließt. Blickfang ist, von Süden kommend, die direkt hinter den Weinbergen aufragende barocke Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul. Durch das direkt nebenan befindliche, als einziges von ursprünglich drei Stadttoren noch erhaltene Maintor erreichen wir eine gemütliche, fachwerkselige Innenstadt, in der wir angesichts der hohen Temperaturen ein schattiges Plätzchen im Garten einer Weinstube suchen und eine Mittagspause einlegen.

Sonnige Weinlage: Domdechaney und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul
Das Maintor von 1746 wird auch als Küsterhaus bezeichnet
Schmale Gassen prägen Hochheims Altstadt: Häuserzeile in der Mainzer Straße
Wir legen im altehrwürdigen Weingut Duchmann eine Pause ein

Anschließend sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Mündung des Mains in den Rhein bei Mainz-Kostheim. Hier, am Flusskilometer 0,0, haben wir also offiziell das Ziel unserer knapp zweiwöchigen Radwanderung erreicht – zumindest soweit es Jana und mich betrifft.

Flusskilometer 0,0: Wir sind an der Mündung des Mains in Mainz-Kostheim angekommen!
Wo sich Main und Rhein vereinen: Blick zur Südbrücke hinüber nach Mainz
Die mächtigen Türme des Doms beherrschen die Stadtsilhouette

Für Marina und Christian hingegen bedeutet die Mainmündung noch lange nicht das Ende der Reise: Sie haben noch mehr als zwei weitere Wochen vor sich, in denen sie die südwestdeutschen Flusstäler von Rhein und Mosel erkunden wollen. Sie bauen auf einem nahegelegenen Campingplatz mal wieder ihr Zelt auf, während wir uns in Mainz-Kastel in einer coolen Strandbar direkt am Rhein, die beeindruckende, aus dem 19. Jahrhundert stammende Verteidigungsanlage Reduit im Rücken, einen ersten Blick auf die am gegenüberliegenden Flussufer liegende Stadtsilhouette von Mainz gönnen.

Verteidigungsanlage aus dem 19. Jahrhundert: Reduit in Mainz-Kastel
Erholung am Kasteler Strand mit Blick zur Theodor-Heuss-Brücke

Tja, wir sind nämlich noch nicht in Mainz, auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein hat: Mainz-Kostheim und Mainz-Kastel sind nämlich seit 1945 nicht mehr Stadtteile der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, sondern gehören zur hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Erst als wir die Theodor-Heuss-Brücke überquert haben und dabei geradewegs auf den Landtag und die Staatskanzlei zugeradelt sind, haben wir tatsächlich Rheinland-Pfalz und damit das vierte und letzte Bundesland auf unserer Tour erreicht. Quer durch die Altstadt steuern wir auf den Schillerplatz zu, dessen Südende der prächtige barocke Osteiner Hof einimmt – in dem feudalen Barockbau werden wir heute tatsächlich nächtigen, im Südflügel des großzügigen Gebäudes sind seit einigen Jahren Ferienwohnungen untergebracht! Und die freundliche Vermieterin gewährt uns sogar noch ein Upgrade…

Moderne und Barock am Schillerplatz: Fastnachtsbrunnen und Osteiner Hof
…in dessen südwestlichem Seitentrakt wir in einer tollen Ferienwohnung übernachten
Gemütliches Wohnzimmer…
…und sehr geräumiges Bad

Hinter den dicken Palastmauern weicht die Hitze des Tages einer angenehmen Kühle – Zeit, um ein bisschen zu entspannen, bevor wir frischen Mutes einen Bummel durch die attraktive Mainzer Innenstadt antreten. Statuen für Berühmtheiten wie Friedrich von Schiller oder Johannes Gutenberg, den Erfinder des Buchdrucks, aber auch der Fastnachtsbrunnen oder das Standbild für den Gardetrommler begleiten uns dabei auf dem Weg vom Schillerplatz, an dem sich mit dem Bassenheimer Hof und dem Schönborner Hof noch weitere Barockjuwelen aufreihen, zum Markt. Nicht zu vergessen die Fußgängerampeln: Nicht West- oder Ost-Ampelmann fordern da zum Stehen bzw. Gehen auf, sondern die Mainzelmännchen

Natürlich ziert auch ein Schiller-Denkmal den gleichnamigen Platz
Mainz‘ größtem Sohn Johannes Gutenberg ist ein Denkmal und ein Platz gewidmet
Fastnachtshochburg Mainz: Gardetrommler-Denkmal
Hier weisen die Mainzelmännchen den Fußgängern den Weg…
Adelssitz aus dem Jahre 1750: Bassenheimer Hof
Frühbarockes Bauwerk am Schillerplatz: Schönborner Hof

Der Marktplatz ist nicht nur dank der Fassadenfront an der Nordseite, die nach den Zerstörungen der Kriegszeit detailgetreu wiederaufgebaut wurde, ganz besonders sehenswert, sondern auch wegen der monumentalen Silhouette des Doms St. Martin, der sich schon fast 1.000 Jahre an dieser Stelle als Gottesburg erhebt. Coronabedingt sind die Besuchsmöglichkeiten im Dom stark eingeschränkt, sodass wir das beeindruckende Bauwerk leider nur von außen bewundern können.

Barocke Fassaden bestimmen das Erscheinungsbild der Nordseite des Marktplatzes
Romanische Baukunst: Hoher Dom St. Martin
1833 errichtet: Staatstheater am Gutenbergplatz

Hier treffen wir uns noch einmal mit Marina und Christian – unser letzter gemeinsamer Abend führt uns in eine Traditionsgaststätte mitten in der Altstadt, wo wir unter anderem Bekanntschaft mit der traditionellen Mainzer Fleischwurst machen. Nach einer herzlichen Verabschiedung mit den besten Wünschen für die Weiterfahrt lassen wir den Abend mit einem kleinen Abstecher zum Rheinufer ausklingen. Einen tiefen Eindruck hinterlässt auf dem Rückweg in unsere Unterkunft auch die Kirchenruine von St. Christoph. Die vermutliche Taufkirche Johannes Gutenbergs kündet als Mahnmal von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, die auch in Mainz eine 80prozentige Zerstörung der Stadt zur Folge hatten.

Lokale Spezialität: Mainzer Fleischwurst mit Bratkartoffeln
Jockel-Fuchs-Platz mit modernem Rathaus und mittelalterlichem Eisenturm
Abendstimmung über dem Rhein mit Blick nach Mainz-Kastel
Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte frühgotische Kirche St. Christoph
…ist heute ein Mahnmal

Bei einem Schoppen Rheinhessen-Wein in der Unterkunft lassen wir die vergangenen zwei Wochen noch einmal an uns vorüberziehen – wie ein endloses Band schlängelte sich der Main in zahlreichen Kehren westwärts, wunderschöne Landschaften und attraktive Städte querend, und jetzt ist er vom großen Rhein aufgenommen und verschwindet in seinen Wassern. Zeit, nachhause zurückzukehren – morgen schon werden wir mit dem Quer-durchs-Land-Ticket in Regionalzügen die Heimreise antreten; über Karlsruhe, Stuttgart und Ulm wird es zurückgehen nachhause, nach Tapfheim.