St. Moritz.
Unsere Expedition zum Inn startet kurz nach zehn Uhr am Tapfheimer Bahnhof: Zusammen mit Janas Mutter Margitta hieven wir unsere vollbepackten Räder in den agilis, mit dem wir die erste von nicht weniger als sechs Teilstrecken mit dem Zug bestreiten, die uns am heutigen Tag bevorstehen. Der erste Umstieg erfolgt bereits in Günzburg: Da der agilis in Neu-Ulm endet, nehmen wir für die kurze Strecke bis Ulm einen IC, für den wir eine Reservierung gebraucht haben. In Ulm haben wir eine geschlagene Stunde Wartezeit zu überbrücken, die wir zu einem Bummel im neu gestalteten, allerdings immer noch von Baumaßnahmen gezeichneten Bahnhofsviertel nutzen. Mit dem Regionalexpress geht es anschließend durch Oberschwaben in Richtung Bodensee. An seinen Ufern erfreuen wir uns über schöne Seepanoramen, ehe wir den Zug Richtung Basel in Singen verlassen. Obwohl noch auf deutschem Gebiet, steigen wir dort bereits in einen Schweizer IC ein – die Räder müssen hier mit den Vorderrädern an Haken aufgehängt werden, eine für uns neue Variante des Velo-Transports. Vorbei am spektakulären Rheinfall bei Schaffhausen steuert unser viertes Tagesgefährt zügig Zürich an. Dort haben wir gerade genug Zeit, um die Fahrräder über Rolltreppen von Gleis 13 auf Gleis 10 zu bugsieren, das Gepäck erneut abzuschnallen und durch teilweise starken Regen an Zürich- und Walensee entlang immer weiter in die Berge zu fahren. Noch einmal heißt es umsteigen: In Chur ist die Frist mit sechs Minuten am knappsten; zum Glück steht die Rhätische Bahn am selben Bahnsteig gegenüber parat. Außerdem treffen wir wie überall vorher auch schon auf hilfsbereite Zugbegleiter und Mitreisende und können demzufolge die letzten zwei Stunden auf der traumhaften Albula-Linie, die mit Durchsagen mehrfach als UNESCO-Weltkulturerbe hervorgehoben wird, die wunderbare Graubündner Berglandschaft genießen.






Gegen 19 Uhr sind wir endlich in St. Moritz angekommen. Wir drehen eine kleine Schleife entlang des beschaulichen St. Moritzersees; danach ist erst einmal die Suche nach dem Hostel Pitsch angesagt, das wir schließlich am westlichen Ortsrand des berühmten Wintersportorts, direkt am Inn gelegen, finden. Der freundliche Hostel-Chef Klaus gibt uns fürs Abendessen noch einen richtig guten Tipp – die Pizzeria Caruso im Kellergewölbe des Hotels Laudinella, in dem man gut und für hiesige Verhältnisse relativ preiswert speisen kann.





Am Freitagvormittag geht es richtig los! Heute schwingen wir uns erstmals am Inn-Radweg auf unsere Bikes – auf Anraten von Klaus fahren wir aber nicht, wie ursprünglich angedacht, erst mit dem Postbus nach Maloja, um dort vom Startpunkt aus loszuradeln. Stattdessen strampeln wir direkt vom Hostel los: Am Morgen ist es einfach am schönsten, überzeugt uns Klaus, außerdem ist die Straße nach Maloja nicht mit großen Steigungen gespickt. Einige kräftige Anstiege sind freilich doch mit dabei und machen uns bewusst, dass wir ziemlich ohne Training hier angetreten sind und uns außerdem auf etwa 1.800 Metern Meereshöhe befinden. Nichtsdestotrotz: Bei tollem Wetter und angenehmen Temperaturen ist die Fahrt entlang der herrlichen Bergseen, die sich hier im Oberengadin aus den Wassern des jungen Inn gebildet haben, eine wunderschöne Sache.

Der kleine Lej da Champfér, der langgestreckte Silvaplanersee und schließlich der buchtenreiche Silsersee breiten sich in diesem spektakulären Hochtal aus. Zwischendrin gibt es aber auch noch nette kleine Orte wie Silvaplana, Surlej mit dem romantischen Schloss Crap da Sass und Sils oder ein sporthistorisches Kleinod wie die nur noch rudimentär erkennbare ehemalige Olympia-Skisprungschanze von St. Moritz – 1928 und 1948 fanden hier zweimal Olympische Winterspiele statt. In Maloja angekommen, stellen wir fest, dass der auf 1.815 Metern Höhe gelegene kleine Ort eigentlich keine besonderen Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, sieht man von dem spektakulären Inn-Wasserfall ab, der hoch über dem Dorf aus den Bergen herabstürzt.












Da hat Margitta eine Idee: Sie kennt die Gegend schon von einem früheren Urlaub und überzeugt uns davon, mit dem Postbus über unzählige Kehren hinunter ins von der Mera durchflossene Bergell – auf Italienisch Bregaglia, was in diesem grenznahen Teil Graubündens die vorherrschende Sprache ist. Ziel ist das entzückende, verschlafene Bergdorf Soglio. Um das zu erreichen, müssen wir in Promontogno sogar nochmal umsteigen; aber der Weg lohnt sich. Nicht nur das altehrwürdige Soglio selbst, sondern insbesondere auch die atemberaubende Bergkulisse, die sich hinter dem Ort erhebt, machen den speziellen Reiz dieses Fleckchens Erde aus.











Zurück nach Maloja geht’s auf demselben Weg. Oben angekommen, entscheiden wir spontan, auch den Rückweg nach St. Moritz mit dem Rad in Angriff zu nehmen: Das Wetter ist bestens, die Route problemlos – und so kommen wir ganz nebenbei in den Genuss, das wirklich sehr hübsche Dörfchen Sils Maria genauer kennenzulernen (inklusive Kaffeepause) und anschließend dank der im Hostel erhaltenen Engadin-Ferienkarte sogar noch mit der letzten Bergfahrt zur gut 2.300 Meter hoch gelegenen Furtschellas-Mittelstation hinaufzufahren. Von einem Aussichtspunkt freuen wir uns über ein tolles Bergpanorama mit den glitzernden Seen.









Auf der Rückfahrt entscheiden wir uns am Ortsrand von St. Moritz spontan dazu, gleich im Ristorante Peppino’s direkt neben der zu einem Schießstand umgewandelten ehemaligen Sprungschanze einzukehren. Von dort ist es nicht mehr arg weit bis ins Hostel Pitsch, wo wir uns auf einen ruhigen Abend freuen. Der hält dank des superfreundlichen Hausherrn Klaus noch ein weiteres Highlight für uns bereit: Als ich im Frühstücksraum nach einer Flasche Wein frage, stellt er mir nicht nur den Rebensaft samt Gläsern auf ein Tablett. Er bittet mich um zwei Minuten Zeit – und dann liefert er aus der Küche auch noch ein reichlich gefülltes Körbchen mit Brot und ein zweites mit einer extra-großen Portion Käse. Ein umwerfend freundlicher Gastgeber!

