Innsbruck.
Der Morgen ist noch angenehm kühl, doch es verspricht ein sonniger Sommertag zu werden, als wir uns in Imst auf unsere Räder schwingen und die tags zuvor mühsam erstrampelten Höhenmeter nun bei der Rückkehr auf die Hauptroute des Inn-Radwegs während einer langgezogenen Abfahrt schnell wieder verlieren.


Bei Brennbichl queren wir direkt neben einer imposanten Brücke den Fluss und radeln zunächst am Südufer entlang, wechseln jedoch im Verlauf der nächsten halben Stunde noch dreimal die Seite. Bei der letzten Überquerung auf dem Innsteg bei Löckpuit, einem Ortsteil von Roppen, zieht der Fluss in einer langgezogenen Schleife weiter Richtung Nordosten und fordert mit seinem wilden, ungebändigten Charakter geradezu zu einem Zwischenhalt heraus.




Tolle Panoramen erhaschen wir auf der Weiterfahrt auch kurz hinter Schlierenzau. Der Radweg führt hier parallel zur A 12, die den Hang auf mächtigen Betonstelzen überbrückt und dadurch spektakuläre Blicke auf den Flusslauf und die gegenüberliegenden Berghänge freigibt.


Durch locker bepflanzte Obstgärten und weite grüne Wiesenauen radeln wir bei immer schöner werdendem Wetter vorbei an Dörfern wie Silz und Mötz, wo hoch über dem nördlichen Innufer schon von Weitem der schlanke, hoch aufragende Kirchturm der neuromanischen Wallfahrtskirche Maria Locherboden vom Sassberg ins Tal grüßt.




Von hier ist es nicht mehr weit nach Stams: Mit etwas mehr als 1.500 Einwohnern eigentlich nur eine kleine Landgemeinde am Südhang des Inntals, dank des Zisterzienserstifts Stams, das zu den berühmtesten Klosteranlagen Österreichs zählt, aber überregional zu großer Bekanntheit gekommen. Das 1273 gegründete Kloster zeigt heute ein barockes Erscheinungsbild, das auf die grundlegenden Neu- und Erweiterungsbauten im 17./18. Jahrhundert zurückgeht. Auch die ursprünglich romanische Stiftskirche wurde in dieser Zeit in festlichem Barock umgestaltet. Das Stift wird noch heute von den Zisterziensern geführt. Der Orden betreibt in Stams nicht nur eine Schnapsbrennerei und eine Bäckerei, sondern auch Schulen, unter anderem in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen das bekannte Ski-Internat. Zahlreiche Weltmeister und Olympiasieger wurden hier ausgebildet. Neben der kunst- und kulturhistorischen sowie der sportlichen Bedeutung des Orts begeistert uns insbesondere auch das spektakuläre Bergpanorama, von dem die ausgedehnte Klosteranlage umgeben ist.








Eine halbe Stunde dauert es von Stams, flankiert von der Autobahn und der Bahntrasse, durch das inzwischen ziemlich breite Inntal nach Telfs. Um den Ortskern dieser 16.000 Einwohner zählenden Marktgemeinde zu erreichen, müssen wir auf die Nordseite des Flusses wechseln. Hier legen wir in einem Café eine kurze Mittagspause ein und schauen uns nebenbei ein bisschen im Ort um. Neben vielen recht modernen Gebäuden finden sich vor allen Dingen in der Obermarktstraße auch durchaus noch eine Reihe von historischen Tiroler Bürgerhäusern. Charakteristisch für das Ortsbild ist insbesondere die doppeltürmige Pfarrkirche Peter und Paul, die zwischen 1860 und 1863 an der Stelle eines älteren Vorgängerbaus neu errichtet wurde. Etwa 150 Jahre älter ist ein weiterer Sakralbau, das Franziskanerkloster mit Kirche. Beide Bauwerke liegen etwas abseits der Marktstraße am nördlichen Rand des Ortskerns.





Es ist ordentlich warm, als wir den zweiten Teilabschnitt unserer Tagesetappe in Angriff nehmen. Kleine Orte und weite Wiesenflächen querend, lassen wir das etwas erhöht am nördlichen Innufer liegende Zirl links liegen und erreichen kurz hinter Unterperfuss den Flusslauf der Melach, die hier in den Inn mündet. Sie ist die offizielle Trennlinie, die den Übergang vom Tiroler Oberinntal ins Unterinntal markiert.




Über Nebenstrecken an der Südseite des Tals erreichen wir Völs, einen recht groß gewordenen Vorort von Innsbruck, wo wir noch einmal das Flussufer wechseln, um dem Damm am Nordufer entlang der Tiroler Landeshauptstadt zuzustreben. Die sommerlichen Temperaturen veranlassen uns dazu, in direkter Nähe zum Flughafen Innsbruck an einem Kiesstrand die Füße in den kühlen Inn zu hängen und ein bisschen zu relaxen, bevor es die letzten Kilometer bis zu unserem Quartier zurückzulegen gilt, dem erst kürzlich neu eröffneten, modernen und sehr ansprechenden Rufi´s Hotel. Hier haben wir gleich für zwei Nächte gebucht, denn wir wollen uns Zeit nehmen, Innsbruck etwas genauer kennenzulernen.


So erholen wir uns im Hotelzimmer ausgiebig von der Hitze und laufen dann, die Temperaturen sind inzwischen wieder angenehmer geworden, den Inn entlang Richtung Innenstadt, auf der Suche nach einem Restaurant. Was wir dann auf dem Marktplatz entdecken, veranlasst uns spontan zum Bleiben: Das Fischvergnügen am Inn ist ein kleines Stück Hamburg mitten in den Alpen – schon seit vielen Jahren findet dieser Spezialitätenmarkt, beschickt überwiegend von Anbietern aus der Hansestadt, hier statt. Und so ein bisschen Volksfestatmosphäre tut – neben gegrilltem Fisch als leckerer Mahlzeit – nach der langen Corona-Zeit auch mal wieder gut…







Unsere entspannte Stimmung wird allerdings jäh durch einen Anruf aus der Heimat beendet: Zunächst meldet sich das Seniorenheim, in dem Janas fast 95-jährige Oma seit zwei Jahren betreut wird, und informiert uns darüber, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Und als uns wenig später dann eine diensthabende Ärztin des Klinikums Memmingen, in der sich Omi nun befindet, mitteilt, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen sei, ist uns sofort klar: Wenn wir sie noch einmal sehen und in ihrer allerletzten Lebensphase begleiten wollen, dann müssen wir die Radtour sofort abbrechen und sehen, wie wir auf dem schnellsten Weg nach Memmingen kommen.
Was sich als ziemlich kompliziert erweist: Zwar finde ich durchaus Zugverbindungen, die uns über München ins Allgäu bringen könnten. Doch als ich genauer schaue, stelle ich zu meinem Schrecken fest: Ob die Züge tatsächlich fahren, ist äußerst unsicher, da für die DB Warnstreiks angekündigt sind! Was nun? Letztendlich bleibt uns nur eine Lösung: Wir rufen unsere in der Nähe von Rosenheim wohnende Tochter Denise an, die zusammen mit ihrem Freund Christoph schnurstracks mit dessen VW-Bus nach Innsbruck düst, uns hier gegen Mitternacht samt Gepäck, aber ohne Fahrräder (die dürfen dank des freundlichen Personals im Hotel bleiben, bis sie zu einem späteren Zeitpunkt geholt werden) mitnimmt und bis an ihren Wohnort Raubling bringt. Dort leihen wir uns Denises Auto aus – sie selbst kann nicht mit, weil sie am nächsten Tag in die Arbeit muss – und fahren spätnachts noch gut zwei Stunden über menschenleere Autobahnen nach Memmingen, wo wir wenigstens nicht zu spät eintreffen.
