Acquafredda.

Abends um halb elf Uhr; wir sitzen in Acquafredda auf der Terrasse des Restaurants Da Peppe und genießen unser erstes Abendessen auf italienischem Boden in Sichtweise des Tyrrhenischen Meeres. Genau wie wir uns das vorgestellt haben, als wir heute morgen um dreiviertelsieben Uhr zuhause in Tapfheim losgefahren sind – meine Schwiegermutter Margitta, Jana und ich, einer Einladung folgend, die unser ehemaliger Austauschschüler Andrea, der 2007 drei Monate lang bei uns gewohnt hat und zu dem der Kontakt bis heute nicht abgerissen ist, vor einigen Monaten ausgesprochen hat. Eingeladen sind wir zu seiner Hochzeit – dem zweiten, italienischen Teil davon genau genommen; der erste hat bereits am 4. Juli in Athen stattgefunden, denn Andreas Lebensgefährtin bzw. eigentlich ja nun schon Ehefrau Dimitra ist Griechin. Zum bisher einzigen Male gesehen haben wir sie, als wir die beiden vor gut zwei Jahren dort besucht haben, wo sie sich kennengelernt haben und jetzt auch leben: in Luxemburg. Dort sind sie sich im Studentenwohnheim zum ersten Mal begenet, dort haben sie nach dem Studium beide Arbeit gefunden, im Vorort Sandweiler eine gemeinsame Wohnung bezogen und sind seit vergangenem Oktober glückliche Eltern eines gemeinsamen Sohnes namens Michelangelo.

Dass die beiden die Hochzeit aber nun nicht in Luxemburg, sondern in ihren Heimatländern feiern, ist angesichts der engen Verbundenheit und der großen Zahl an einzuladenden Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn nichts weiter als selbstverständlich – und dass wir auf der Gästeliste stehen, für uns eine große Freude. Hätten Jana und ich aber nicht 2018 ein zweites Mal einen Teilzeitantrag nach dem Sabbatjahrmodell gestellt und diesen für einen Zeitraum von vier Jahren geplant – von 2018 bis 2021 in der Anspar-, 2021/22 in der Freistellungsphase – wir hätten die Einladung wohl kaum annehmen können. Das neue Schuljahr hat gerade begonnen; am Wochenende mal schnell zur Hochzeit anzureisen, wäre schon rein terminlich mehr als herausfordernd gewesen. Zumal Andreas Heimat ja nicht im für uns aus Bayern relativ schnell erreichbaren Norden Italiens liegt, sondern in der Basilikata, einer Region im tiefen Süden des Landes.

Und so setzen wir uns also am frühen Morgen dieses Donnerstags Mitte September 2021 ins Auto – guten Mutes, die Hochzeitsgeschenke sind verstaut, Unterkünfte und Mietwagen gebucht – und machen uns auf den Weg zum Münchner Flughafen. Auf der B 2 in Richtung Augsburg kommen wir gut voran – bis es sich plötzlich, kurz hinter der Ausfahrt Meitingen-West, staut. Es ist kurz vor halb acht, morgendlicher Berufsverkehr, bei Langweid verengt sich die Straße gerade wegen einer Baustelle auf eine Richtungsfahrbahn. Aber dass wir fast überhaupt nicht vorankommen, irritiert uns dann doch. Jana aktiviert die Navigationsfunktion in Google Maps – und bekommt einen Schock: Über eineinhalb Stunden später als geplant sollen wir angeblich ankommen – der Stau auf der B 2 kostet wohl eine halbe Stunde, und auf der A 8 in Richtung München wird anschließend ein weiterer Stau mit sogar einer Stunde Zeitverlust angezeigt. Was tun? Wir müssen bei der nächsten Ausfahrt runter von der B 2, beschließen wir, und anschließend einen Schleichweg über die Landstraße zum Flughafen nehmen. Könnte knapp werden, müsste aber klappen, kalkulieren wir. Doch alle unsere Milchmädchenrechnungen werden bald völlig über den Haufen geworfen: Die paar Kilometer bis zur Ausfahrt Biberbach werden zu einer über zweistündigen Nervenprobe. Ursache des Staus ist nämlich nicht die Baustelle an sich, sondern ein Frontalzusammenstoß zweier LKWs, der sich dort in den frühen Morgenstunden ereignet hat. Infolgedessen sind nun Bergungsarbeiten notwendig, die eine Vollsperrung zur Folge haben – und die Ableitung des gesamten Verkehrs hat nun diesen Mega-Stau zur Folge. Als uns allmählich klar wird, dass wir unseren Flug nach Neapel, der um 10.45 Uhr startet, auf keinen Fall mehr erreichen (der Typ von M-Park-and-Fly in Achering hat auch schon zweimal angerufen, wo wir bleiben), versuchen wir, Lufthansa zu kontaktieren, um eventuell gleich eine Umbuchung zu veranlassen. Das wächst sich zur nächsten Geduldsprobe aus: Geschlagene eineinhalb Stunden hören wir die allmählich hypnotisierende Warteschleifenmusik, ehe eine Mitarbeiterin im Callcenter uns mit der nicht sehr konstruktiven Information versorgt, wir sollten in München den Ticketschalter aufsuchen. Auschecken hätten wir über die Online-Plattform auch können – aber nachdem wir ja unseren Koffer nicht aufgegeben hatten, merkten die Flugbegleiter so oder so, dass wir nicht erschienen sind und riefen uns deswegen auch nicht vergebens aus.

Eine Flugbuchung für den Papierkorb…

In der Zwischenzeit kämpfen wir uns über Landstraßen tatsächlich bis zum Flughafen durch – gegen 11.15 Uhr, nach viereinhalb Stunden, sind wir endlich angekommen und fahren erst einmal direkt ans Terminal 2, um zu sehen, was sich aus unserer misslichen Situation noch machen lässt. Die Mitarbeiterinnen von Lufthansa erweisen sich zum Glück als sehr freundlich und hilfsbereit: Sie suchen nicht nur nach freien Plätzen in der nächstmöglichen späteren Verbindung nach Neapel, sondern auch nach der Option, die für uns die geringsten zusätzlichen Gebühren nach sich zieht. Vor Corona, erklären sie uns, hätten wir bei unserem Tarif komplett neu buchen müssen; nun ist eine Umbuchung möglich. 135 € zusätzlich pro Person sind zwar unvermeidlich, doch das nehmen wir als geringeres Übel fast schon dankend in Lauf – das Damoklesschwert, der Hochzeit vielleicht ganz fernbleiben zu müssen, schwebte in Gedanken bereits über unseren Köpfen. Jetzt wissen wir: Wir können den Flug um 15.25 Uhr, der um 17 Uhr in Neapel landet, nehmen – praktisch verpassen wir dadurch nur den geplanten kurzen Besuch der neapolitanischen Innenstadt; das lässt sich verkraften.

Hochzeitsbesuch gerettet – mit Verspätung fliegen wir doch noch

Nun erst können wir leichteren Herzens zu M-Park-and Fly fahren, unser Auto abstellen, uns wieder an den Flughafen bringen lassen und dann das gebuchte Gepäck aufgeben – denken wir, doch als wir die sieben neu erhaltenen Bordkarten herausholen, um die Gepäck-Banderole auszudrucken, werden wir des nächsten Problems gewahr: Die nette Dame von vorhin hat die Bordkarte für mich doppelt, für Margitta dagegen gar nicht ausgedruckt. Also geht Jana erneut zum Ticketschalter, wo sie natürlich bei einer anderen Mitarbeiterin landet, die ihr aber gleich weiterhelfen kann. Nun drucken wir aber wirklich den Gepäckaufkleber aus… von wegen! Wir versuchen es mit allen drei Bordkarten, jedes Mal mit dem gleichen Resultat: Es ist kein Aufgabegepäck draufgebucht! Dabei haben wir das der guten Frau doch ausdrücklich noch gesagt! Also ist ein erneuter Gang zum Service-Center vonnöten: Wir sollen den Koffer am Schalter der Business-Class abgeben. Das haut dann wirklich hin – auch wenn die zulässigen 23 kg wegen der Geschenke ein bisschen überschritten werden…

Jetzt erst sind alle Schwierigkeiten endgültig behoben, jetzt wird es allmählich normaler: Nach dem Sicherheitscheck haben wir noch reichlich Zeit für ein Essen, der Flug über die Alpen startet bei Regenwetter in München planmäßig, der mit mehreren Flaschen Wein gefüllte Koffer kommt unbeschädigt in Neapel an, bei der Übernahme des Mietwagens, eines Renault Twingo, von Alamo geht alles glatt und auch die gut zweieinhalbstündige Fahrt über die Autobahn in den Süden, zuletzt von Lagonegro über Sapri bis nach Acquafredda, einem Ortsteil von Andreas Heimatstadt Maratea, über kurvige Bergstraßen hinunter ans Meer verläuft reibungslos.

Da fällt uns ein Stein vom Herzen: Ankunft in Neapel

Erwartet von Andreas Tante Maria und Onkel Raffaele, die hier das B&B La Giara betreiben, erreichen wir gegen Viertel nach Neun endlich unser Tagesziel, freuen uns über den herzlichen Empfang und sitzen vor dem Zu-Bett-Gehen dann tatsächlich an einem Platz, den wir uns so heute früh ja auch vorgestellt hatten: einem Platz unter freiem Himmel in einem gemütlichen kleinen Restaurant im friedlichen Dorf Acquafredda, bei italienischem Essen und einem Glas Wein…

Ende gut, alles gut: Tagesausklang im Ristorante Da Peppe in Acquafredda