Chaniá.

Zehn Tage lang dem heimischen Novembergrau entfliehen – normalerweise nur ein Traum, in diesem Jahr ist das dank unseres Sabbaticals aber möglich. Nebenbei ist das gleich auch noch gut, um zumindest für diesen Zeitraum ein bisschen Distanz zu schaffen zu der sich nicht zuletzt in Bayern wieder zuspitzenden Corona-Lage.

Wir haben uns für einen Besuch von Kreta entschieden – und brechen also morgens gegen sieben Uhr am Dienstag, 16. November von zuhause auf. Unterwegs kommen plötzlich wieder Erinnerungen an ein Erlebnis hoch, das sich vor exakt zwei Monaten auf genau demselben Weg zugetragen hat: Damals verpassten wir aufgrund einer Totalsperrung auf der B 2 den gebuchten Flug nach Neapel – diesmal passieren wir diesen Bereich zwar reibungslos, auf der Weiterfahrt ploppt dann jedoch die Nachricht von einem Stau auf der A 99 auf, der die ursprüngliche Ankunftszeit schnell um eine Dreiviertelstunde nach hinten verschiebt. Doch zum Glück sind wir noch weit genug weg, um reagieren zu können: Wir fahren eine Ausfahrt vorher, bei Dachau/Fürstenfeldbruck, von der A 8 ab, umgehen den Stau und sind nur etwa eine Viertelstunde später als vorgesehen, immer noch gut in der Zeit, am M-Park-and-Fly-Standort in Achering.

Warten auf den Abflug im novemberlich nassgrauen München

Am Terminal 2 des Münchner Flughafens angekommen, gehen das Einchecken und die Sicherheitskontrolle dann zügig vonstatten. Es bleibt genügend Luft für einen Kaffee, bevor wir in die A 321 der Aegean Airlines einsteigen können, mit der es in knapp zweieinhalbstündigem Flug in die griechische Hauptstadt Athen geht. Im Transitbereich müssen wir die daheim ausgefüllte, online eingereichte Einreiseerklärung bezüglich Covid-19 vorzeigen und werden noch einmal durch eine Sicherheitsschleuse geleitet. Offiziell mit Olympic Air, de facto aber mit einer A 320 von Aegean Airlines legen wir die zweite Etappe unseres Hinflugs zurück – 50 Minuten bis nach Chaniá, die zweitgrößte Stadt Kretas im Westen der langgestreckten Insel.

Es dämmert gerade und es regnet, als wir hier gegen 17.15 Uhr landen. Die Koffer hinter uns her ziehend, laufen wir ein paar hundert Meter bis zur Niederlassung des Autovermieters Yours Car Rental, wo wir einen weißen Peugeot 108 in Empfang nehmen, den wir – da Off-Season – für sagenhafte 13 € pro Tag erhalten haben.

Etwa eine halbe Stunde dauert es, um vom Flughafen Ioannis Daskalogiannis, der sich auf der Akrotiri-Halbinsel befindet, in das südwestlich davon gelegen Chaniá zu gelangen – wobei der Stadtrand eigentlich schnell erreicht ist; doch bis zum kostenlosen Parkplatz unterhalb der Gritti-Bastion direkt am Meer dauert es dann doch noch einige Zeit, da der Verkehr umso dichter und die Gassen umso schmäler werden, je mehr wir uns dem Zentrum Chaniás nähern.

Zu Fuß sind es nur ein paar Minuten bis zu unserer Unterkunft – die Casa Leone, im nordwestlichen Altstadtviertel Topanas gelegen, ist ein sehr stilvoll eingerichteter alter venezianischer Stadtpalast, der in der Hochsaison sicherlich deutlich oberhalb unseres Budgets läge; doch jetzt, im November, können wir hier zu einem wirklich akzeptablen Preis fünf Nächte bleiben.

Stilvoll wohnen in der Casa Leone
…einem alten venezianischen Stadtpalast

Der Chef des Hauses gibt uns gleich einen Tipp, wohin wir zum Abendessen gehen sollen. Aber als wir dem Eingang des Lokals stehen, ist dort alles dunkel. Ein angehefteter Zettel gibt bekannt, dass das Restaurant heute wegen eines Streiks geschlossen hat.

Hier bleibt heute die Küche kalt…

Na prima! Suchen wir eben ein anderes Lokal… aber so einfach ist das nicht, wie wir uns das vorgestellt haben. In den Gassen der Innenstadt sind alle Gaststätten zu – dass außerhalb der Saison einige dichtmachen, damit haben wir ja gerechnet. Aber so krass? Nur rund um den venezianischen Hafen haben ein paar wenige Restaurants geöffnet – die sind eigentlich nicht erste Wahl, weil laut Reiseführer überteuert und qualitativ nicht gerade das Gelbe vom Ei. Doch was bleibt uns übrig? Wir setzen uns zuerst in ein kleines Lokal, werden von dem älteren Herrn, der hier bedient, nach einiger Zeit aber in die drei Häuser weiter stationierte Sportbar Gallini gebeten, weil eh dort gekocht und ausgeschenkt wird und der Service demzufolge dort auch schneller ist, und bekommen schließlich unser Abendessen samt Wein und – kostenlosem – Nachtisch dort.

Ende gut, alles gut: Schließlich finden wir doch noch ein offenes Lokal…

Der Mittwochmorgen beginnt geruhsam: Frühstückszeit in der Casa Leone ist zwischen neun und elf Uhr. Außer uns ist nur noch ein weiteres Zimmer belegt; das Ehepaar aus München ist schon seit Samstag hier und gibt uns gleich ein paar nützliche Tipps, während wir von der Angestellten namens Olga reichlich versorgt werden.

Ausflugsvorschläge brauchen wir heute noch nicht; an unserem ersten vollen Tag auf Kreta wollen wir erst einmal hineinschnuppern und Chaniá selbst kennenlernen. Der Regen hat zum Glück aufgehört, und auch sonst präsentiert sich die Stadt wesentlich lebendiger als gestern Abend: Die Restaurants wurden nämlich flächendeckend bestreikt, erklärt uns Olga. Anlass dafür waren verschärfte Vorschriften im Zusammenhang mit den Corona-Kontrollen, die die griechische Regierung beschlossen hat und gegen deren Umsetzung die Gastronomen protestieren.

Unser Stadtbummel beginnt in Chaniás verwinkelten Altstadtgassen

Wir lassen die Atmosphäre von Chaniá auf uns wirken: Die zu Zeiten der venezianischen Herrschaft angelegten Bastionen und Stadtmauern, innerhalb derer vor allem in Hafennähe zahlreiche schöne Stadtpaläste entstanden; die Moscheen und Hamams, die von der jahrhundertelangen osmanischen Besatzungszeit übriggeblieben sind; die orthodoxen Kirchen, Handels- und Verwaltungsgebäude, die die einheimische griechische Kultur widerspiegeln und nicht zuletzt die jahrtausendealten Ausgrabungen, die von der ursprünglich hier ansässigen minoischen Gesellschaft – der ersten Hochkultur auf europäischem Boden – künden.

Bollwerk im Nordwesten der Altstadt: venezianisches Fort Firkas
Im Nordosten steht die mächtige Sabbionara-Bastion direkt im Meer
Chaniás massiver Schutzwall im Westen der Altstadt
500 Jahre alter Leuchtturm an der Mole
Im Großen Arsenal befindet sich heute das Zentrum für Mittelmeerarchitektur
…vor dem die Boote im Jachthafen vor Anker liegen
An der Hafenpromenade reihen sich die Stadtpaläste aneinander
Das Hand-Denkmal erinnert an das Fährunglück von 1966 mit hunderten Toten
Erinnerungen an die osmanische Herrschaft: Moschee Giali Tsamisi…
…Minarett der Achmed-Aga-Moschee
…und Kirche Ágios Nikólaos mit Minarett
Traditionelles türkisches Bad an der Platia Venizelou
Orthodoxe Kathedrale der drei Märtyrer an der Platia Athinagora
Mauerreste aus minoischer Zeit: Siedlung Kydonía

Das alles ist flankiert von einer sich kilometerweit hinziehenden, von der Alt- in die Neustadt führenden Uferpromenade, die von Restaurants und Cafés gesäumt ist und in den Gassen des historischen Zentrums durchsetzt mit zahllosen kleinen Läden, die neben dem üblichen Warenangebot vor allem viele Leder- und Schmuckwaren aus heimischer Herstellung anbieten. Interessant ist auch ein Bummel durch die Markthalle, in der nicht zuletzt zahlreiche Gewürze für ein abwechslungsreiches Angebot sorgen.

Von der Hafenpromenade…
…führt der Weg kilometerweit…
…entlang der Küste in Richtung Neustadt
In den schmalen Altstadtgassen…
…verstecken sich kleine Läden, Restaurants und Apartments
Chaniás 1911 bis 1913 entstandene Markthalle…
…bietet eine breit gefächerte Warenauswahl
Romantische Abendstimmung am Hafen

Zum Ankommen in einem Land gehört natürlich immer auch die Annäherung an die landeseigene Küche. Die griechische ist uns ja aus der Heimat nicht völlig fremd – doch hier zeigt sich schnell, dass das Angebot weit über die fleischlastige Souvlaki-Souzouki-Gyros-Platte hinausgeht, die Image der hellenischen Esskultur in unseren Breitengraden bestimmt. Ob Pastitsio, ein Nudel-Hackfleischauflauf, der überbackene Schafskäse namens Saganaki oder der vegetarische Auflauf Bouriki, aber auch das zuckersüße Gebäckstück Kataífi – im Restaurant Tamam unternehmen wir gleich mal einige schmackhafte Streifzüge durch die hiesigen Speisekarten, zumal die Speisen hierzulande häufig als kleinere Portionen, sogenannte Meze, angeboten werden.

In Chaniá erhalten wir einen ersten Einblick in die Vielfalt der kretischen Küche