Peñausende.
Es liegt noch Nebel über Ávila, als wir die Stadt am Gründonnerstag wieder verlassen. Kein Werktag wie bei uns – in Spanien ist heute und natürlich auch am Karfreitag Feiertag; der Höhepunkt der Semana Santa rückt unaufhaltsam näher. Wir haben die Auswirkungen der Festwoche zu spüren bekommen, als wir für diese Tage Unterkünfte gesucht haben – unser vorgesehenes nächstes Etappenziel Salamanca war schon vor einer Woche praktisch ausgebucht; wir mussten weit ins Umland ausweichen und auch dort noch um einiges mehr als üblich berappen, um überhaupt noch etwas für die nächsten zwei Tage zu finden. So fahren wir also von Ávila aus an Salamanca vorbei noch gut 50 Kilometer weiter in Richtung Nordwesten, wo wir im kleinen, sich malerisch zu Füßen eines in der ansonsten recht flachen Landschaft weithin sichtbaren Burgfelsens ausbreitenden 400-Einwohner-Dorf Peñausende, in dem zudem noch die mittelalterliche Iglesia de San Martín und eine alte Gerichtssäule bemerkenswert sind, im ländlichen Hotel La Becera ein modernes Zimmer mit großem Balkon beziehen. Das Allerbeste: Nebel und Wolken haben sich irgendwo unterwegs verzogen, wir genießen die dörfliche Ruhe bei herrlichem Sonnenschein!





Allzu lange halten wir uns aber nicht hier auf: Das tolle Wetter und die höchstens sanftwellige kastilische Hochebene – wir befinden uns hier auf etwa 800 Metern – laden förmlich zu einer kleinen Radtour ein. Und nachdem wir unsere Drahtesel ja mit im Gepäck haben, können wir schnell starten. Fragt sich nur, wohin? Google Maps leistet hier mal wieder beste Dienste: Wir suchen die Umgebung nach gut bewerteten Gaststätten ab und lassen uns ganz einfach zu einer navigieren – die Fahrt auf kaum befahrenen Landstraßen führt entlang weitläufiger, mit Steinmauern begrenzter Wiesen und Olivenhaine; das Land ist weit und nur sehr dünn besiedelt.






Nach gut einer Stunde haben wir das knapp 20 Kilometer nordwestlich gelegene, schon gar nicht mehr so weit von der portugiesischen Grenze entfernte Dörfchen Torrefrades erreicht – hier liegt das Mesón Alonso, eine offensichtlich sehr beliebte Dorfwirtschaft. Und in der Tat, wir können froh sein, dass wir schon kurz nach 14 Uhr hier sind: Eine halbe Stunde später wäre es mit einem freien Tisch wirklich schwierig geworden… Hier, tief im spanischen Hinterland, sind uns unsere spanischen Sprachkenntnisse tatsächlich ziemlich hilfreich: Eine gedruckte Speisekarte gibt es nämlich nicht, und die sehr freundliche Bedienung ist sichtlich erleichtert, als sie mitbekommt, dass wir die von ihr mündlich vorgestellten Gerichte verstehen und in der Landessprache mit ihr kommunizieren können.
Das Mittagessen wird hier übrigens genauso wie schon in allen möglichen Restaurants, die wir in den vergangenen Tagen besucht haben, ausschließlich als Menü angeboten. Es gibt Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch; dazu kommt am Anfang Brot auf den Tisch und für zwei Personen standardmäßig eine Flasche Wasser und eine Flasche Wein. Die Spanier pflegen da offensichtlich einen recht entspannten Umgang mit dem Alkohol… Was das Mittagessen hier von dem in den Städten unterscheidet: Die Qualität des Gebotenen, auch des Weines, ist nochmal ein bisschen besser, wie halt daheim in einem guten Landgasthof auch. Für 15 Euro pro Person kein schlechter Deal!
Satt und zufrieden verlassen wir das Lokal wieder – und werden, ehe wir auf unsere Räder steigen können, von einem Ehepaar, das an einem Tisch draußen im Freien sitzt, angesprochen: Woher wir kommen, was wir in Spanien schon gesehen haben, was wir unbedingt noch anschauen sollten…. wirklich freundliche Menschen, diese Spanier!

Auf dem Rückweg legen wir abseits der Straße bei angenehmstem Frühlingswetter eine kleine Siesta auf einem weitläufigen Olivenhain ein, ehe wir zurückkehren nach Peñausende, wo es zum einen noch viel Sonne auf dem Balkon zu genießen gibt. Zu essen brauchen wir heute nichts mehr… An manchen Tagen versorgen wir uns aber auch selbst, essen mittags nur eine Kleinigkeit in einem Café und abends auf dem Zimmer in der Unterkunft.

Für einen zeitigen Aufbruch am Karfreitag ist unsere Unterkunft nicht ausgelegt. Die Frühstückszeit beginnt um neun Uhr; als wir wenige Minuten später den Frühstücksraum betreten, sind wir die ersten. Die spanischen Gäste trudeln dann bis kurz vor zehn Uhr allmählich auch ein…
Aber kein Problem – viel länger als eine halbe Stunde sind wir über leere Straßen und Autobahnen nicht unterwegs bis nach Salamanca, wo wir zentrumsnah einen kostenlosen Parkplatz finden. Vormittags kurz vor elf Uhr funktioniert das alles noch ganz entspannt, obwohl Karfreitag ist. Dass die Parkplatzsuche etwas später zu einem ordentlichen Stressfaktor hätte werden können, lässt sich bald erahnen, je weiter wir durch die weitgehend als Fußgängerzone ausgewiesene Innenstadt in Richtung Zentrum gelangen: Immer dichter werden die Menschentrauben, die sich durch den malerischen historischen Stadtkern ziehen. Kein Wunder: Die 145.000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt im Westen von Kastilien-Leon ist mit Sehenswürdigkeiten nur so gespickt und wurde von der UNESCO deswegen bereits 1988 zum Weltkulturerbe erklärt.

Von der alten iberischen Siedlung aus vorchristlicher Zeit findet man heute zwar keine Spuren mehr, doch seit der Römerzeit lässt sich die kontinuierliche Besiedlung über gut 2.000 Jahre hinweg auch im heutigen Stadtbild noch sehr gut ablesen.
Der emblematischste Gebäudekomplex Salamancas ist wahrscheinlich die hiesige Universität. 1218 gegründet, blickt sie auf mittlerweile über acht Jahrhunderte zurück und ist die älteste noch existierende Hochschule Spaniens. Ihr Hauptgebäude aus der Renaissance ist mit einem überreich im für hier typischen Platereskenstil gestalteten Hauptportal geschmückt und bietet im Inneren einige sehr sehenswerte Räumlichkeiten, die für einen allerdings nicht gerade billigen Preis von 10 Euro besichtigt werden können.






Wir tun das recht bald, weil wir erfahren haben, dass die Eintrittszeiten heute gegenüber normalen Tagen deutlich verkürzt sind. Ohnehin ist am Karfreitag nicht jeder sehenswerte Ort für Besucher zugänglich, hat man uns in der Touristen-Information erklärt – die Kathedrale, ein weiterer Hauptanziehungspunkt Salamancas, ist heute für Besucher komplett gesperrt. Doch als wir das Universitätsgebäude verlassen, sehen wir das Hauptportal des Doms geöffnet und zahlreiche Menschen aus- und eingehen. Womöglich ist gerade ein Gottesdienst zu Ende gegangen…? Jedenfalls lassen wir uns nicht zweimal bitten und bekommen so, noch dazu ohne den üblichen Eintritt zu bezahlen, doch noch die Gelegenheit, den gewaltigen Kirchenbau von innen zu sehen – er ist im Übrigen in eine Alte und in eine Neue Kathedrale untergliedert, da der aus dem 12. Jahrhundert stammende romanische Bau im 16. Jahrhundert im Renaissancestil erheblich erweitert wurde.





Einen weiteren beeindruckenden Sakralbau, der ebenfalls aus der Renaissance stammt, besichtigen wir im Laufe des Tages noch: den Convento de San Esteban, ein Dominikanerkloster, dessen Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Hier diskutierte Kolumbus mit den skeptischen Gelehrten seiner Zeit vor der Abfahrt gen Westen seine Idee, Indien auf diesem Weg zu erreichen.




Sein wunderschöner Kreuzgang, seine sehr gut erhaltenen Innenräume, insbesondere die Hauptkirche, sind den Besuch ganz zweifelsohne wert. Der Geist des Dominikanerordens wird im oberen Umgang des Kreuzgangs durch zahlreiche bedenkenswerte Sinnsprüche, die an die Wände geschrieben wurden, lebendig. An diesem Karfreitag im Jahre 2022 erscheinen mir die Gedanken, dass kein Mensch besser ist als der andere und dass das Ziel, die eigene Herrschaft zu vergrößern, niemals einen Krieg rechtfertigen kann, ganz besonders wichtig und aktuell…


Dass der Charme von Salamancas Altstadt jedoch nicht nur von Universitäts- und Kirchengebäuden ausgeht, wird spätestens auf der Plaza Mayor unübersehbar. Sie wird vielfach als schönster Platz Spaniens bezeichnet und ist rundherum von mit Arkadengängen ausgestatteten mehrstöckigen Gebäuden umgeben – das Rathaus weist die eindrucksvollste Fassade auf.



Adelspaläste wie die mit Muscheln verzierte Casa de las Conchas oder der mächtige Palacio de Monterrey sind ebenso besondere Anziehungspunkte in Salamancas Altstadt wie etwa der Torre del Clavero – der erhaltene Teil eines Wehr- und Klosterbaus aus dem 15. Jahrhundert.





Einen Kontrapunkt zu den verwinkelten Altstadtgassen setzt die Puente Romano: In 26 Bögen überspannt sie seit Kaiser Trajans Zeiten den Tormes, der wunderbar naturbelassen im Süden an Salamancas Altstadt vorbeifließt. Von hier aus lässt sich auch ein wunderbarer Blick auf das von der imposanten Silhouette der Kathedrale dominierte Zentrum genießen.



Noch einmal kehren wir am Ende unserer Tour durch Salamanca in die Innenstadt zurück. Von den Prozessionen, die heute im Rahmen der Semana Santa stattfinden, erleben wir nahe des Palacio de Monterrey die Procesión del Santo Entierro, also die Prozession des Heiligen Begräbnisses, die sich dem Anlass entsprechend langsam und würdevoll, von getragenen Melodien der mitlaufenden Musikgruppen begleitet, durch die von Zuschauern gesäumten Gassen windet.




