Santiago de Compostela.
Es ist kein Wunder, dass ein spanisches Sprichwort behauptet, die Einwohner dieser Stadt würden mit dem Regenschirm in der Hand geboren – als wir am Dienstag Santiago de Compostela erkunden, gehen zwischendurch immer mal wieder Schauer nieder, und es ist ziemlich kühl in der galicischen Hauptstadt.

Wir nehmen deswegen auch gerne den Tipp unseres Wohnungsvermieters, eines sehr freundlichen älteren Herrn namens Candido, in Anspruch und fahren von unserer etwas außerhalb der Innenstadt gelegenen Unterkunft nicht mit dem Fahrrad ins Zentrum, sondern steigen lieber für einen Euro in den Bus ein.
Santiagos Altstadt besteht aus einem unregelmäßigen Gassengewirr. Die Gebäude – neben zahlreichen Kirchen und Klöstern hunderte von altehrwürdigen Wohn- und Geschäftshäusern mit Arkadengängen wegen der häufigen Regenfälle – präsentieren sich ebenso steingrau wie die gepflasterten Straßen und verleihen dem Stadtbild ein ausgesprochen mittelalterliches Gepräge.




Absolut herausragendes – im wahrsten Sinne des Wortes – Bauwerk der 96.000 Einwohner zählenden Stadt ist natürlich ihre Kathedrale. Sie ist nicht nur aufgrund ihrer Ausmaße und ihrer unbestreitbaren architektonischen Meisterschaft – es sind von der Romanik bis zum Barock alle Baustile vertreten – bedeutend, sondern insbesondere als das von unzähligen Pilgern aus der ganzen Welt ersehnte Ziel ihrer oft wochenlangen Wanderschaft auf einem der Jakobswege, die aus allen Himmelsrichtungen auf die Stadt zuführen.






Die Prunkseite der Kathedrale, die der Überlieferung nach die Gebeine des Apostels Jakobus (spanisch: Santiago) birgt, ist die doppeltürmige Westfassade. Sie blickt zur Praza de Obradoiro, der größten der repräsentativen Plätze rund um das gewaltige Gotteshaus. Rundum ist sie von beeindruckenden Bauwerken umgeben: Gegenüber erstreckt sich der Pazo de Raxoi, ein klassizistisches Bauwerk aus dem späten 18. Jahrhundert. Im Norden wird der Platz vom Hospital de los Reyes Católicos eingenommen: heute ein Luxushotel, doch schon seit 1509 ein Beherbergungsbetrieb und damit einer der ältesten noch bestehenden der Welt. Und in der gleichen Zeit entstand das an der Südseite des Platzes befindliche Colexio de San Xerome.



Rund um die Kathedrale befinden sich weitere wunderschöne Plätze mit beeindruckenden Baudenkmälern. So befindet sich im Norden an der Praza da Inmaculada das Renaissancekloster Mosteiro de San Martiño Pinario, die Praza da Quintana de Vivos wird von der mächtigen Fassade der Casa da Conga dominiert, in denen die Kanoniker der Kathedrale wohnten, und an der Südseite schließlich entzückt die Praza das Praterías mit dem Brunnen Fonte dos Cabalos.


Santiagos gesamte Innenstadt, in der wir noch einige wirklich hübsche Plätze und Gassen entdecken, ist komplett auf die Pilger eingerichtet, ohne die der Ort nicht mehr als ein entlegener Flecken in der nordwestlichen Ecke Spaniens wäre. Accessoires für Wanderstöcke, vor allem Jakobsmuschel und Kalabasse, gibt es ebenso überall zu kaufen wie religiöse Devotionalien, Erinnerungs-T-Shirts und, und, und… Selbstverständlich reihen sich auch Restaurants und Cafés dicht an dicht; und obwohl auch an einem Apriltag wie diesem eine gehörige Zahl an Fuß- und Radwallfahrern durch die Stadt streift, müssen die Gasthäuser durchaus kämpfen, um ihre Tische zur Mittagszeit alle besetzt zu bekommen. Da wird dann schon mal ein ganzer Tintenfisch, hier Pulpo genannt, zu Werbezwecken ins Schaufenster gestellt…







Als ganz normale Touristen gehören wir hier auf jeden Fall einer Minderheit an; das wird uns beim Streifzug durch Santiago de Compostela sehr bewusst. Ob die Pilger aber nach dem Erreichen ihres Ziels noch die Energie und die Muße haben, sich außerhalb der Altstadt in den Parque da Alameda zu begeben? Wir jedenfalls nehmen die kleine Schleife hinaus in Angriff und kommen dadurch nicht nur in den Genuss einer ausgedehnten Grünanlage, die es im Zentrum überhaupt nicht gibt, sondern erhaschen von hier auch noch einen tollen Panoramablick.



Am Mittwoch wollen wir noch eine andere Seite Galiciens kennenlernen, nämlich die Atlantikküste. Dazu fahren wir über wenig befahrene Landstraßen durch eine sehr grüne, hügelige Gegend, die durchaus Ähnlichkeit mit uns vertrauten mitteleuropäischen Landschaften aufweist. Allerdings zeigt sich dann an manchen Merkmalen doch, dass wir nicht gerade den Hunsrück durchqueren: Neben den überall anzutreffenden Hórreos sind es vor allem die ausgedehnten Eukalyptuswälder, die hier angepflanzt wurden.

Kurz vor Camariñas, einem kleinen Ort an der Westküste, sehen wir das erste Mal den Atlantik: Das Meer zerfurcht hier in kilometerlangen, fjordähnlichen Buchten, die Rías genannt werden, das Land.

Einige Kilometer nördlich des Ortes erreichen wir über eine schmale Stichstraße das Cabo Vilán – eine felsige Halbinsel, die sich in das anbrausende Meer schiebt und von einem weithin sichtbaren Leuchtturm gekrönt wird. Nicht weit davon entfernt haben sich ein großer Fischzuchtbetrieb und ein ausgedehnter Windpark angesiedelt.




Wir montieren unsere Fahrräder vom Träger und radeln auf einer Schotterpiste bei lebhaftem Wind und angenehmen Temperaturen einige Kilometer entlang der Küste, wobei wir immer wieder herrliche Ausblicke genießen. Felsige Abschnitte und schöne Sandstrände wechseln einander ab; zwischendurch fahren wir auch mal ein Stück durch Kiefernwald.






Am Cemiterio dos Ingleses, dem Wendepunkt unserer kleinen Tour, erfahren wir, warum dieser Küstenabschnitt den wenig erbaulichen Namen Costa do Morte (Todesküste) trägt: Hier zerschellte 1890 das britische Kriegsschiff HMS Serpent bei schweren Stürmen an einer Klippe; 172 Besatzungsmitglieder starben. Und das war nur eines von zahlreichen Schiffsunglücken in dieser Region.


Um noch etwas mehr von dieser Ecke Galiciens kennenzulernen, fahren wir anschließend ein Stück Richtung Süden nach Fisterra (spanisch Finisterre). Der Name des Orts ist sprechend – Ende der Welt lautet seine Bedeutung, die auf das lateinische Finis Terrae zurückgeht. In der Antike ging man nämlich davon aus, dass sich hier das Westende des Erdkreises befinde – inzwischen weiß man, dass nicht nur das nicht der Wirklichkeit entspricht. Fisterra markiert nicht einmal den westlichsten Punkt Spaniens (der liegt etwas weiter nördlich am Cabo Touriñán), geschweige denn den des europäischen Festlands – dieser befindet sich in Portugal, nicht weit von Lissabon entfernt.

Dennoch genießt der Name des Orts natürlich einen besonderen Klang: Zu tun hat das auch hier wieder zu keinem geringen Teil mit der Tatsache, dass viele Jakobspilger ihren Weg bis zum Kilometerstein 0,0 fortsetzen, der westlich des Ortes am Cabo Fisterra das endgültige Ende des Camino markiert. Auch hier weist ein Leuchtturm den Schiffen vor der Küste den Weg. Heute ist der Platz perfekt für einen grandiosen Ausblick auf die Weiten des Atlantik und die Steilküste.



Doch auch das knapp 5.000 Einwohner zählende Städtchen Fisterra ist durchaus reizvoll – das maritime Flair rund um den Fischerhafen und das kleine, auf einem Felsen gelegene Castelo de San Carlos sind uns einen kleinen Bummel wert.


