León.

Am Donnerstag verlassen wir nach drei Tagen die galicische Hauptstadt Santiago de Compostela wieder. Mehr als 300 Kilometer führt unser Weg heute Richtung Osten: Überwiegend auf Autobahnen, zwischendurch aber auch auf Landstraßen fahren wir durch tiefe Bergtäler und zahlreiche Tunnels wieder hinauf ins Hochland von Kastilien-León. Und sobald wir auf den Landstraßen unterwegs sind, sehen wir sie überall am Wegesrand: Die Jakobspilger, die uns zu hunderten entgegenkommen, um dorthin zu wandern, wo wir gerade wieder abgereist sind. Nebenbei wird uns dadurch auch bewusst, dass die Wege so abgeschieden und idyllisch nicht sind, wie man sie sich gerne vorstellt: Meist verlaufen sie parallel zu viel befahrenen Straßen…

Überall entlang der Strecke…
…sind Jakobspilger unterwegs

Es ist relativ kühl, aber sonnig, als wir gegen halb zwei Uhr in León ankommen. Die etwa 130.000 Einwohner zählende, am Zusammenfluss von Bernesga und Torío auf etwa 840 Meter Meereshöhe liegende Provinzhauptstadt gehört zu den spanischen Städten, deren Gründung bereits auf die Römerzeit zurückgeht. Vom 10. bis 12. Jahrhundert war sie der Sitz eines Königreichs, das durch die Rückeroberung von zuvor maurisch besetzten Gebieten einen wichtigen Grundstein für die Geburt der modernen spanischen Nation legte.

Statue für Königin Urraca I. von León

Wir haben uns diesmal für eine zentrumsnahe Unterkunft entschieden und landen mit dem Inn Boutique Hotel in einem Haus, das mit Fug und Recht als brandneu bezeichnet werden kann: Erst vor zehn Tagen, zu Beginn der Semana Santa also, hat das sehr geschmackvoll eingerichtete, aber einfache Hotel seine Pforten für Gäste geöffnet – die freundliche junge Dame an der Rezeption bezeichnet es deswegen auch als „unser Baby“. Parken ist trotz der zentralen Lage, ganz anders als in vielen anderen spanischen Innenstädten, kein Problem: Keine fünf Minuten zu Fuß entfernt befindet sich ein großer öffentlicher Parkplatz, auf dem wir unser Auto für sehr günstige 2,80 € pro Tag abstellen können.

Das Fahrzeug müssen wir in den nächsten beiden Tagen keinen Zentimeter mehr bewegen; alles ist problemlos in fußläufiger Entfernung erreichbar. Und wir tun gut daran, einen Großteil unseres Stadtrundgangs bereits am Ankunftstag zu absolvieren – da scheint die Sonne freundlich vom tiefblauen Himmel, León zeigt sein bestes Gesicht. Tags darauf erreicht der Schlechtwettereinbruch, den fast ganz Spanien zu beklagen hat, auch uns – die Temperaturen steigen im Dauerregen kaum auf 10° C an. Wobei es noch schlimmer hätte kommen können: Freunde von uns, die gerade ebenfalls in Spanien unterwegs sind, erwachten am Mittwoch in einem verschneiten Segovia und mussten ihren Ausflug nach El Escorial canceln, weil die Autobahn gesperrt war und auf der Ausweichroute Schneekettenpflicht herrschte. Und das in der zweiten Aprilhälfte mitten in Spanien…

Wir erreichen León bei strahlendem Sonnenschein…
…tags darauf sieht es hier völlig anders aus

Dreh- und Angelpunkt eines jeden León-Besuchs ist die über die Maßen beeindruckende Kathedrale Santa María de Regla, von unserem Hotel aus gleich um die Ecke gelegen. Der reich verzierte gotische Prachtbau aus dem 13. Jahrhundert gilt als die spanische Kathedrale, die am stärksten von der Monumentalarchitektur im Nachbarland Frankreich beeinflusst worden ist – Reims wird von der Fachwelt als wichtigstes Vorbild genannt.

Gotisches Gesamtkunstwerk: Kathedrale Santa María de Regla
…von allen Seiten beeindruckend

Neben dem repräsentativen Westwerk mit zwei 90 Meter hohen Türmen und detailreich ausgearbeiteten Portalen ist Leóns Kathedrale vor allem für seine zahlreichen, unglaublich farbenprächtigen Fenster – sie nehmen eine Fläche von nicht weniger als 1.800 m² ein – berühmt. Ein Rundgang durch das sehr stimmungsvolle Gotteshaus lässt uns Besucher zur Ruhe kommen und uns wie in einer Zeitmaschine zurück ins Mittelalter versetzt fühlen; man würde sich nicht wundern, fände man sich plötzlich in einer Szene von Der Name der Rose wieder…

Von unglaublicher Kunstfertigkeit: Die Buntglasfenster der Kathedrale…
Plateresk-filigraner Retrochor
Portada de la Virgen del Dado aus dem 13. Jahrhundert

Einen Beitrag dazu liefert auch der Kreuzgang des unmittelbar an die Kathedrale anschließenden Zisterzienserklosters, in dem eine ganze Allee von über 700 Jahre alten Heiligenfiguren den Besuchern beim Vorübergehen zuzusehen scheint.

Kreuzgang des sich anschließenden Zisterzienserklosters
…mit Blick auf die Nordseite der Kathedrale

Noch ein zweiter Sakralbau ist in León von besonderer Bedeutung. Die Real Basilica De San Isidoro ist als romanische Kirche noch älter als die Kathedrale und kann sich nicht nur darauf berufen, Grabstätte des heiligen Isidor von Sevilla zu sein, sondern auch die Königsgruft der leonischen Könige zu beherbergen.

Aus romanischer Zeit: Real Basilica De San Isidoro

Dass León eine Stadt ist, in der wir uns auf Anhieb wohl fühlen, liegt aber nicht in erster Linie an diesen beiden besonderen Baumonumenten, sondern an den freundlichen Menschen und der gesamten Stadtanlage. Da zieht sich um Teile der Altstadt noch eine wehrhafte, zum Teil auf die Römerzeit zurückgehende Stadtmauer mit mehreren Stadttoren.

Teilweise erhaltene Stadtmauer…
…und Puerta de las Cien Doncellas

Wir entdecken aber auch bestens restaurierte alte Stadtpaläste wie den Palacio Episcopal gleich gegenüber der Kathedrale oder den auf das 14. Jahrhundert zurückgehenden Palacio de los Condes de Luna, der sich in einer Seitengasse versteckt.

Leóns Bischofspalast aus dem 17. Jahrhundert
Mittelalterlicher Adelssitz: Palacio del Conde Luna

Lebhafte Geschäftsstraßen – das Zentrum der Innenstadt wird von der Calle Ancha durchzogen – wechseln ab mit schmalen, verwinkelten Gassen, in denen sich viele Bars und Restaurants angesiedelt haben. Ganz besonders lebhaft ist es hier abends, wenn sich in den Kneipen Menschen aller Altersklassen um einen freien Platz drängen.

Abends kommt Leben in die Altstadtgassen, hier die Calle Cervantes

Mehrere schön gestaltete Plätze sorgen überdies für Abwechslung, etwa die repräsentative Plaza Mayor aus dem 17. Jahrhundert oder die sehr urige Plaza del Grano in der südlichen Altstadt.

Barockes Flair an der Plaza Mayor
Mittelalterliche Plaza del Grano – offiziell Plaza de Santa María del Camino

Ganz besonders sehenswert ist mit Sicherheit die Plaza San Marcelo am westlichen Rand der Altstadt: Neben der namensgebenden Kirche und dem Rathaus befinden sich dort mit dem Palacio de los Guzmanes, einem prächtigen Renaissancebau, und der Casa de Botines zwei besonders auffällige architektonische Schmuckstücke – letztere ein detailreich verziertes ursprüngliches Wohn- und Geschäftshaus, das 1891/92 vom später weltberühmt gewordenen Antoni Gaudí errichtet wurde.

An der Plaza San Marcelo
…sind der Palacio de los Guzmanes
…und die Casa de Botines besondere Anziehungspunkte

Im Gegensatz zur komplett autofreien Altstadt sehr verkehrsreich ist die gleich daneben befindliche, kreisrunde Plaza de Santo Domingo mit ihrem gleichnamigen, repräsentativen Brunnen. Sie markiert den Übergang in die Neustadt – auch dort wäre, vor allem mit dem plateresken Convento de San Marcos und der Römerbrücke über den Bernesga, noch der eine oder andere sehenswerte Ort zu besichtigen. Doch das mehr als ungemütliche Wetter hält uns am Freitag dann von allzu langen Streifzügen durch die Stadt ab…

Übergang zur Neustadt: Plaza de Santo Domingo