Bilbao.

Ungemütlicher könnte es kaum sein: Bei starkem Regen und schattigen 3° Celsius verlassen wir am Samstagmorgen León. Fast drei Stunden dauert die Fahrt über ziemlich leere Autobahnen, ehe wir – nach wie vor bei Dauerregen – das in der nordspanischen Region Kantabrien gelegene Altamira erreichen: Eigentlich ein völlig unbedeutender Ort in der Hügellandschaft unweit der Atlantikküste, wären hier nicht 1879 in erst kurz zuvor entdeckten Höhlen prähistorische Felsmalereien von kunsthistorisch einzigartiger Bedeutung gesehen worden. Der Clou daran: Es war die achtjährige Tochter eines Gutsbesitzers, die ihren Vater bei einem Höhlenbesuch überhaupt erst auf die zwischen Rot, Braun und Ocker changierenden großflächigen Tierdarstellungen an der Decke aufmerksam machte.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden die Höhlenmalereien von Altamira zu einer immer beliebteren Besucherattraktion – mit der Zeit nahmen die Menschenmassen derart überhand, dass die 14.000 Jahre alten Gemälde durch die hohe Luftfeuchtigkeit ernsthaft in ihrer Existenz gefährdet waren. Im Laufe der 1970er Jahre wurde der Zugang deswegen immer mehr eingeschränkt und für Touristen ganz untersagt. Doch man sann auf einen Ausweg und errichtete gleich nebenan ein Besucherzentrum mit angeschlossenem Museum und der Neocueva, also einer neuen, originalgetreu nachgebauten Höhle, in der Kunstprofessoren alle Höhlenmalereien aufs Genaueste nachbildeten. 2001 eröffnete das Museo Nacional y Centro de Investigación de Altamira seine Pforten und bietet seitdem die Möglichkeit, die künstlerischen Zeugnisse aus der Altsteinzeit zumindest auf diese Weise wieder zu bewundern.

Vor dem Museo Nacional y Centro de Investigación de Altamira
In der originalgetreu nachgebildeten Neocueva
…sind die Höhlenmalereien zu bewundern
In den umgebenden Museumsräumen…
…wird über die Lebensweise der Steinzeitmenschen informiert

Wir haben das Glück, dass samstags ab 14 Uhr der Eintritt sogar frei ist und sehen uns nach dem Rundgang durch die Neocueva noch ein bisschen im angeschlossenen Museum, das die Lebenswelt der Menschen in der Altsteinzeit anschaulich darstellt, um. Anschließend spazieren wir durch das parkähnlich gestaltete Gelände und sehen dabei zumindest noch den Eingang zu originalen Höhle.

Zugang zur echten Höhle von Altamira

Unser Tagesziel ist nur noch zwei Kilometer entfernt – in Santillana del Mar beschränken wir uns an diesem ungemütlichen Nachmittag, an dem sich Regen und Sturm abwechseln, allerdings auf einen Restaurantbesuch und verziehen uns anschließend auf unser gemütliches Zimmer in der schönen, ruhig am Ortsrand gelegenen Posada El Jardín.

Gemütliche Pension im Grünen: Posada El Jardín…
…inmitten des wunderschönen kantabrischen Hügellands

Den Rundgang durch das 4.200-Einwohner-Städtchen, das entgegen seines Namens nicht direkt am Meer, sondern einige Kilometer davon entfernt im herrlich grünen kantabrischen Hügelland liegt, holen wir am Sonntagvormittag nach. Da hat sich das Wetter zum Glück deutlich gebessert – die verschneiten Gipfel der Picos de Europa, die ein Stück weiter westlich im Grenzgebiet von Asturien, Kantabrien und Kastilien-León bis zu mehr als 2.600 Meter in den Himmel ragen, zeugen aber noch vom Kälteschock der vergangenen Tage.

Hinter Castillana del Mar erstrecken sich die verschneiten Gipfel der Picos de Europa

Santillana del Mar trägt mit Stolz das Gütesiegel Los Pueblos Más Bonitos de España: Es ist als eines der schönsten Dörfer (und Kleinstädte) Spaniens anerkannt und dementsprechend stark touristisch frequentiert, vor allem von Einheimischen. An diesem Sonntagmorgen ist davon zum Glück noch nicht allzu viel zu spüren, sodass wir das besondere Flair des mehr als 1.500 Jahre alten Städtchens ziemlich ungestört aufnehmen können.

Das besondere Gütesiegel gleich am Ortseingang
Die Läden sind auf Touristen eingestellt: Kunsthandwerk…
…und regionale Spezialitäten

Das unverfälschte mittelalterliche Ortsbild wird noch dadurch aufgewertet, dass das komplette historische Zentrum für Autos gesperrt ist. So strahlen die gepflasterten Gassen und die meist grauen bis ockerfarbenen Natursteinfassaden tatsächlich den Charme der vielen Jahrhunderte aus, die sie bereits auf dem Buckel haben. Insbesondere entlang der Rúa del Rey und rund um die Plaza Mayor reihen sich alte, mit den Familienwappen geschmückte Residenzen wichtiger alteingesessener Geschlechter.

Uralte Mauern…
…säumen die Altstadtgassen von Santillana del Mar
Straßenszene in der Calle Río
,,,mittelalterliche Adelspaläste Torre de Don Borja
…und Torre del Merino an der Plaza Mayor
Fast alle Balkone sind mit Zierpflanzen geschmückt

Besonders auffällig und das Ortsbild dominierend ist La Colegiata, wie der Gebäudekomplex aus Kirche und Augustinerkloster am Nordende des historischen Zentrums genannt wird. Er stammt aus dem 12. Jahrhundert und gilt als bedeutendstes romanisches Bauwerk Kantabriens.

La Colegiata, das dominierende Gebäude…
…im Ortszentrum von Santillana del Mar

Unser Aufenthalt in dieser nordspanischen Region ist nur kurz; so wollen wir wenigstens noch einen weiteren sehenswerten Ort in der Umgebung kennenlernen und entscheiden uns deswegen auf der Weiterfahrt für einen kleinen Umweg nach Nordwesten an die Küste. Ziel ist der mit wenig mehr als 2.000 Einwohnern noch etwas kleinere Ort Comillas. Er bietet mit der Playa de Comillas einen wunderschönen weißen Sandstrand und in seinem Zentrum ebenfalls einen mittelalterlichen Ortskern mit malerischen Gassen, altehrwürdigen Wohnhäusern und Kirchen.

Herrlicher Sandstrand am Atlantik: Playa de Comillas
Plaza de la Constitución mit der Iglesia San Cristóbal de Comillas
Fuente de los Tres Caños auf dem Rathausplatz
Vor über 200 Jahren als Lateinschule gegründet: Centro Cultural El Espolón

Doch zudem hat Comillas auch außerhalb der alten Stadtmauern einige herausragende architektonische Schmuckstücke zu bieten. Und das liegt vor allem an einer Person: dem Unternehmer Antonio López y López, der mit dem Handel von Kolonialwaren aus Kuba zu Reichtum gekommen und schließlich vom spanischen König zum Marqués de Comillas, also zum örtlichen Markgrafen, ernannt wurde. Er gab zunächst den Auftrag zum Bau des repräsentativen neugotischen Palacio de Sobrellano, finanzierte auf einem gegenüberliegenden Hügel den gewaltigen Komplex des Seminario Pontifíca, einer päpstlichen Universität, und stellte noch kurz vor seinem Tod 1883 für einen weitläufigen Verwandten, den Geschäftsmann Don Máximo Díaz de Quijano, den Kontakt zu einem aufstrebenden jungen Architekten aus Barcelona her – Antoni Gaudí.

Neugotischer Adelssitz: Palacio de Sobrellano
Einst eine päpstliche Universität: Seminario Pontifíca

Und nach seinen Plänen – Gaudi selbst hat Comillas nie besucht – entstand bis 1885 ein Sommerlandhaus, das mit seinem bunten Dekor, dem markanten Aussichtsturm und der innovativen, lichtdurchfluteten Raumgestaltung wegweisend für den Stil des Modernisme, der spanischen Spielart des Jugendstils, war. Heute ist die Villa Quijano, die auch als El Capricho (die Laune) bekannt ist, ein vielbesuchter Anziehungspunkt für Touristen aus nah und fern – auch wir erfreuen uns bei einem Rundgang durch das immer noch erstaunlich modern wirkende Gebäude an der freundlichen Raumwirkung, dem tollen, die Sonnenblume als Leitmotiv verwendenden Außendekor und an der idyllischen Gartenanlage rund um das Haus.

Sommersitz in wunderbarer Lage: El Capricho
Sonnenblumen dominieren das Dekor der Fassaden…
…große Fenster lassen viel Licht ins Haus…
…detailreich gestaltete Holzdecken…
…und sichtbare Holzbalken im Dachgeschoss…
…zaubern ein angenehmes Ambiente herbei
Blickfang: der mit bunten Keramikfliesen verkleidete Aussichtsturm

Kantabrien lassen wir nach einem überteuerten Mittagessen in einem einfachen Lokal (in ganz Comillas ist das Preisniveau ziemlich hoch, wie wir feststellen) schon wieder hinter uns – unser Weg führt uns an diesem Nachmittag noch gut 150 Kilometer parallel zur Atlantikküste ostwärts bis nach Bilbao. In der größten Stadt des Baskenlands wollen wir die zwei nächsten Tage verweilen.